„Es ist mir schon klar, dass du mehr Sex haben willst. Ich weiß, dass du dich dann geliebt fühlst. Und mit mir verbunden. Aber so funktioniert das für mich nicht. Ich kann das nicht.“ Vanessa schaut ihren Mann vorsichtig prüfend an. Da auch er gespannt zu sein scheint, was jetzt kommt, fährt sie fort: „Du kommst nach Hause und bist meistens gestresst von der Arbeit. Wenn ich dich frage, wie dein Tag war, sagst du nur ‚gut‘. Und wenn ich dich frage, was dich beschäftigt, murmelst du, dass alles in Ordnung sei und dich nichts beschäftige. Abends gehst du trainieren oder siehst dir eine deiner Serien an. Und wenn wir schließlich ins Bett gehen, hoffe ich einfach, dass du zu müde bist, um noch Sex zu wollen. Ich möchte dich nicht ständig zurückweisen müssen. Ich weiß ja, dass dich das verletzt.“
Frauen und Männer haben oft unterschiedliche Anfahrtswege. Frauen finden tendenziell über emotionale Nähe zum Sex, so wie Vanessa. Sie will nicht mit ihrem Mann schlafen, wenn sie sich ihm gegenüber so distanziert fühlt, weil sie schon lange kein tiefes Gespräch mehr geführt haben. Und Männer finden tendenziell durch Sex zur emotionalen Nähe, wie Vanessas Mann. Wenn sie Sex haben, fühlt er sich ihr sehr nahe. Danach kann er sich ihr auch emotional öffnen und ihr das anvertrauen, was wirklich in ihm vorgeht. Wenn er hingegen das Gefühl hat, sexuell ausgehungert zu werden, kann er sich ihr gegenüber nicht verletzlich zeigen, geschweige denn sich für ein tiefgründiges Gespräch begeistern.
Unterschiedliche Anfahrtswege sind weit verbreitet und stellen an sich kein Problem dar. Problematisch wird es erst, wenn beide auf ihrem Weg als dem einzig richtigen beharren. Das führt dann zu einer klassischen Pattsituation im Ehebett. Der eine kann (oder will) sich nicht auf emotionale Nähe einlassen, solange sie so wenig Sex haben. Und der andere kann (oder will) sich nicht auf Sex einlassen, solange sie so wenig emotionale Nähe haben. Wenn beide auf ihrer Abfolge bestehen, verlieren am Ende beide.
Ein Ausweg besteht darin, die Gleichwertigkeit der beiden unterschiedlichen Herangehensweisen anzuerkennen. Wir müssen begreifen, dass der andere zwar anders tickt, aber seine Art und Weise nicht grundsätzlich schlechter ist als meine. Meine Partnerin ist nicht einfach nur kompliziert. Und mein Partner ist nicht einfach nur triebgesteuert. Wir sind verschieden, aber der andere ist deswegen nicht völlig daneben. Wenn uns dieses Umdenken gelingt, können wir uns besser auf die Reihenfolge des Partners einlassen.
Wenn man in diesem Punkt unterschiedlich tickt, lohnt sich ein ehrliches Gespräch über die Vorstellungen und Erwartungen von beiden. Es ist wichtig, den eigenen Anfahrtsweg zu kennen und anzusprechen, wenn man sich mit der aktuellen Dynamik nicht wohl fühlt oder sie als unausgewogen empfindet. Doch eingefordert werden kann der eigene Weg nicht. Vanessas Partner darf nicht von ihr verlangen, zuerst Sex zu haben und dann erst mit ihr zu sprechen. Und wenn Vanessa sich erst nach einem ausführlichen Gespräch wieder auf Sex einlässt, verschärft das nur den Machtkampf.
Erfolgversprechender als das vehemente Einfordern der eigenen Wünsche ist das Eingehen auf die Wünsche des Gegenübers. In einer grundsätzlich ausgewogenen und gesunden Partnerschaft kann ich dem anderen seinen Anfahrtsweg schenken und so die Pattsituation durchbrechen. Und wenn beide diese uneigennützige Haltung an den Tag legen, dann kommt es richtig gut.
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NEXT LEVEL FÃœR MEINE BEZIEHUNG:
Findet dein Gegenüber eher durch Sex zur emotionalen Nähe oder umgekehrt? Es lohnt sich, darüber zu reden und einen guten Umgang mit euren unterschiedlichen Anfahrtswegen finden.