Die Stimmung ist gedrückt. Seit ein paar Tagen liegt etwas in der Luft. Ann und Dominik reden zwar miteinander, aber ihre Gespräche sind kurz und sachlich. Sie gehen sich nicht aus dem Weg, aber sie machen auch nicht mehr als nötig miteinander.
„Jetzt sag doch endlich, was los ist“, bricht es beim Abendessen aus Dominik heraus.
„Sag du doch, was los ist“, blafft sie zurück. Selbst ein wenig überrascht von ihrer scharfen Reaktion fügt sie nach einigen Sekunden Stille hinzu: „Ich weiß auch nicht, was los ist mit uns.“ Diese sanfte und verletzliche Ergänzung öffnet die Tür für ein längeres Gespräch. Langsam tasten sich die beiden vor und finden schließlich heraus, wann und weshalb diese Beziehungseiszeit begonnen hat.
Vier Tage zuvor hatte Anns beste Freundin eine Verabredung mit ihr kurzfristig abgesagt. Sie hatte vergessen, den Termin in ihren Kalender einzutragen und hatte deshalb an diesem Abend für etwas anderes zugesagt. Ann war sehr enttäuscht. Sie erzählte Dominik davon und sagte ihm auch, dass sie richtig wütend auf ihre Freundin sei, weil ihre Freundschaft für sie offensichtlich keine Priorität mehr habe. Er versuchte sie zu beschwichtigen: „Ach, so schlimm ist das doch gar nicht. Jetzt machen wir zwei uns einfach einen schönen Abend. Du reagierst über, deine Freundin hat das bestimmt nicht absichtlich gemacht.“
Ann hat das so entgegengenommen. Vielleicht hat sie wirklich überreagiert. Vielleicht war ja tatsächlich alles halb so wild. Trotzdem begann es in ihr zu rumoren. Und erst jetzt, vier Tage später, kann sie benennen, was sie so verstimmt hat.
Nach dem schwierigen Vorfall mit ihrer Freundin hätte sie von Dominik ein offenes Ohr gebraucht. Sie wollte ernst genommen und verstanden werden. Stattdessen hat er ihre Gefühle als übertrieben dargestellt und ihnen ihre Berechtigung abgesprochen. Das nennt man emotionale Entwertung.
Emotionale Entwertung ist Gift für jede Beziehung. Und es passiert so schnell. Manchmal ist es sogar gut gemeint oder geschieht aus der eigenen Überforderung, herausfordernde Gefühle mit dem anderen auszuhalten. Hier war es einfach Dominiks unglücklicher Versuch, sie zu trösten und ihren Blick wieder auf etwas Positives zu lenken. Dass die Freundin es nicht absichtlich getan hat, mag ja stimmen. Aber mit „Ach, so schlimm ist es doch gar nicht“ und „Du reagierst über“ verurteilt Dominik Anns Gefühle. Er sagt damit, dass sie falsch sind.
Unsere Gefühle sind weder richtig noch falsch. Sie sind einfach. Und sie dürfen sein. Das heißt nicht, dass wir ihnen hilflos ausgeliefert sind und sie unser Handeln bestimmen müssen. Aber wir können lernen, sie wahrzunehmen und wertzuschätzen. Und uns dagegen zu wehren, wenn Menschen, die uns wichtig sind, unseren Gefühlen die Berechtigung absprechen oder sie als falsch oder unangemessen bewerten.
NEXT LEVEL FÜR MEINE BEZIEHUNG:
Erinnerst du dich an eine Situation, in der du jemanden emotional abgewertet hast? Wenn nicht – und wenn du mutig bist – kannst du ja deine Partnerin oder deinen Partner fragen.