Eine der großen gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte ist die zunehmende Bedeutung von Gefühlen. Menschen über vierzig können sich noch gut an eine Zeit erinnern, in der Gefühle besser verborgen blieben. Sie waren Privatsache und wurden nicht als Argumente verwendet. Vor zwanzig Jahren wäre man in den meisten Branchen kaum auf die Idee gekommen, seine persönlichen Gefühle in eine Diskussion am Arbeitsplatz einzubringen. Wer zu viel über seine Gefühle sprach oder sie gar in seine Entscheidungen einfließen ließ, galt schnell als emotional (damals eindeutig negativ konnotiert) und irrational.

Die Zeiten haben sich geändert. Wir sind viel sprachfähiger geworden, wenn es um unsere Gefühle geht. Fragt man Frauen, welche Eigenschaften ihnen bei einem Partner besonders wichtig sind, stehen Empathie, Warmherzigkeit und Emotionalität zuverlässig an erster Stelle, während Eigenschaften wie Selbstbewusstsein, Einkommen oder Durchsetzungsvermögen weit abgeschlagen sind. Und an der Harvard University hat man inzwischen herausgefunden, dass die emotionale Intelligenz für den beruflichen Erfolg entscheidender ist als der IQ. Das wachsende Interesse an Gefühlen zeigt sich auch darin, dass sich seit dem Jahr 2000 die Zahl der jährlich veröffentlichten Studien zu diesem Thema mehr als verzehnfacht hat.

Wie immer bei gesellschaftlichen Umbrüchen sind die einen schon über das Ziel hinausgeschossen, während die anderen noch gar nicht gemerkt haben, dass sich etwas bewegt. Sie haben noch nicht verstanden, dass ihre Gefühle durchaus eine Bedeutung haben und sie gut daran täten, sie nicht zu ignorieren. Und die Menschen an der Spitze dieser modernen „Gefühlsbewegung“ dürften erkennen, dass sie mehr sind als nur ihre Gefühle und dass sie nicht immer zwingend nach ihren Gefühlen handeln müssen. Teilweise wird den Gefühlen heute tatsächlich ein zu hoher Stellenwert eingeräumt. Das zeigt sich daran, dass viele Menschen nicht mehr zusammenzucken, wenn sie Sätze hören wie „Folge deinen Gefühlen“ oder „Wir haben uns getrennt, weil es sich nicht mehr gut angefühlt hat“. Das sind Sätze, die man durchaus kritisch hinterfragen sollte.

In einer Metastudie wurden mehr als 100 Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen dem Umgang mit Gefühlen und psychischen Problemen ausgewertet. Dabei kristallisierten sich drei Verhaltensweisen heraus, die im Umgang mit Gefühlen besonders schädlich sind: Erstens das Vermeiden von Situationen, die ein bestimmtes Gefühl auslösen könnten. Zweitens das Grübeln. Und drittens das Wegdrücken von Gefühlen und das sich Ablenken. Der Paartherapeut Oskar Holzberg hat drei Handlungsempfehlungen für den Paaralltag formuliert, um nicht in die Falle dieser drei schädlichen Verhaltensweisen zu tappen.

  1. Vermeiden von Situationen, die ein bestimmtes Gefühl auslösen könnten: „Zieh dich nicht aus dem Kontakt zurück. Arrangiere dich nicht damit, unverbunden nebeneinanderher zu leben.“
  2. Grübeln: „Sprich es an und aus, bleibe nicht allein damit, teile es mit deiner Partnerin.“
  3. Wegdrücken von Gefühlen und sich Ablenken: „‚Check‘ immer wieder beim anderen ‚ein‘ und frage ihn: ‚Wie geht es dir, wie geht es dir mit uns?‘ Und wenn du gefragt wirst, dann beantworte diese Fragen mutig und ehrlich.“

Wer sich an diese drei Empfehlungen hält, wird entdecken, dass das gemeinsame Sprechen über Gefühle dabei hilft, negative Gefühle besser loslassen zu können und gleichzeitig die Partnerschaft mit Tiefe und Verbundenheit bereichert.

 

NEXT LEVEL FÃœR MEINE BEZIEHUNG:

Neigst du in deiner Beziehung zu einer der drei beschriebenen schädlichen Verhaltensweisen im Umgang mit Gefühlen?