FAMILYLIFE
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Wir haben keinen Fernseher. Wenn wir dann im Urlaub mal einen haben, zappen wir gerne durch die Kanäle, wenn die Kinder im Bett sind. Im letzten Urlaub sind wir bei der Sendung „Gestrandet… in den Flitterwochen“ hängen geblieben. In diesem Format werden zwölf Singles von Expertinnen gematcht und verbringen dann als Paar „Flitterwochen“ auf einer einsamen Insel. Danach können sie sich entscheiden, ob sie zusammenbleiben oder sich wieder trennen wollen.

In der Folge, in die wir reingestolpert sind, gab es gerade einen Streit zwischen Nadin (33) und Niklas (30). Ich war sofort fasziniert, weil der Streit genau so ablief, wie sich Paare auch in ihren eigenen vier Wänden und ohne Fernsehkameras streiten. Es war ein fast perfekter Modellstreit.

Und so lief es ab: Niklas schenkte Nadin einen Stein, der ihm viel bedeutete. Sie freute sich über das Geschenk. Etwas später meinte sie, ein paar Blumen wären auch schön gewesen, zumal Niklas ja wusste, dass sie Blumen liebt. Das hat Niklas verletzt.

Als er sie am nächsten Morgen noch einmal darauf ansprechen wollte, ging das gründlich schief. Sie verstand überhaupt nicht, warum er Schwierigkeiten mit ihrem Blumenwunsch hatte. Ihre abwehrende Haltung führte dazu, dass er sein Anliegen noch einmal mit etwas mehr Wumms vorbrachte: „Du sagst immer, was du denkst. Aber denk doch einfach mal einen Schritt weiter. Wie würde sich die andere Person in dem Moment fühlen, wenn du das zu ihr sagst? Verstehst du? Und dann sagst du: ‚Stopp, das wäre vielleicht doch nicht so gut, das einfach so rauszuposaunen.‘“ Das hat gesessen.

Der Konflikt eskalierte. In den nächsten Tagen zeigten sie eine Art Best-of des Paarstreits: Statt einander zuzuhören, machten sie sich abwechselnd Vorwürfe. Er belehrte sie. Sie lief weg. Er drohte mit Trennung. Beide wollten, dass der andere sein Fehlverhalten einsieht und sich entschuldigt. Aber keiner von beiden hätte auch nur im Traum daran gedacht, selbst den ersten Schritt zu tun und sich zu entschuldigen. Dann wurden alte Geschichten hervorgeholt und aufgewärmt. Sie wollte die Sache klären und rückte ihm immer wieder auf die Pelle, er blockte ab. Später meinte er, sie solle sich doch mal überlegen, weshalb alle Typen von ihr weglaufen würden, worauf sie ihn einen „kleinen Pisser wie alle anderen“ nannte.

Natürlich trennten sie sich am Ende der Serie. Nadin sagte: „Wenn wir ehrlich sind, waren es ganz kleine, unwichtige Dinge, die uns im Weg standen.“ Sie hat recht. Gestritten wurde über Blumen. Oder später darüber, ob Niklas „meine Fresse“ oder „halt die Fresse“ gemurmelt hat. Aber eigentlich ging es gar nicht um solche Kleinigkeiten. Ob auf einer Insel im Indischen Ozean oder in den Wohnzimmern Europas: Es geht meist um mehr als das, was vordergründig diskutiert wird.

Hinter all diesen Diskussionen stehen immer die gleichen Fragen: Siehst du mich? Und bin ich dir wichtig? Wenn wir diese Fragen bejahen können, ist es kein Problem, wenn er zu müde für Sex ist oder sie die Schuhe wieder vors statt ins Regal gestellt hat. Ist die Antwort hingegen unklar, führt die siebte, etwas zu teure Jeans ebenso zum Konflikt wie die Tatsache, dass er wieder einmal zu spät nach Hause kommt. Die Jeans und das Zuspätkommen werden dann genau wie der fehlende Blumenstrauss als Zeichen gedeutet, dass unsere Meinung und wir als Person dem anderen offensichtlich nicht mehr so wichtig sind.

All die alltäglichen Themen, an denen sich diese schwelenden Konflikte entzünden können, lenken oft vom Wesentlichen ab. Wir können uns fragen, ob es wirklich die fehlenden Blumen sind, die uns verstimmt haben, oder ob wir damit nicht viel eher gegen die emotionale Distanz protestieren, die sich zwischen uns eingeschlichen hat. Wenn wir uns in diesen Situationen verletzlich zeigen und benennen können, worum es eigentlich wirklich geht, gehören wir zu den wenigen Paaren, die auch Flitterwochen auf einer einsamen Insel überstehen würden.

 

NEXT LEVEL FÜR MEINE BEZIEHUNG:

Kannst du dich an einen Konflikt erinnern, bei dem es eigentlich um grundsätzliche Beziehungsfragen ging und nicht so sehr um das, worüber ihr vordergründig gestritten habt?

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