Kürzlich genoss ich eine Auszeit in den Bergen und entschloss mich an einem wunderschönen Spätsommertag spontan zu einer Wanderung. Normalerweise würde ich für ein solches Vorhaben zuerst ein Ziel definieren, eine Route dorthin auswählen und dann losmarschieren. Vielleicht würde ich auch noch alle möglichen Gefahren und potenziellen Herausforderungen abwägen, um innerlich auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Ein solches Vorgehen gibt mir ein Gefühl von Sicherheit und Kontrolle, was für meine Persönlichkeit sehr wichtig ist. An diesem Tag aber entschied ich mich bewusst gegen meine natürliche Vorgehensweise. Ich wollte einfach den Weg genießen und Schritt für Schritt entscheiden, wo es hingehen sollte. Ich marschierte also ohne Plan los.
Beim Wandern musste ich plötzlich an meine erste Schwangerschaft denken. Ich entdeckte eine Parallele zwischen dem Elternsein und der Wanderung. In den neun Monaten des gespannten Wartens auf die erste Begegnung mit unserem Sohn wuchs in mir der Wunsch, mich innerlich so gut wie möglich auf diese Aufgabe vorzubereiten. Ich wollte wissen, was von mir erwartet wurde, was das Ziel ist, wo es anstrengend werden könnte und wie ich das am besten vermeiden könnte. Dabei habe ich mich an anderen Familien orientiert, die auf dieser Wanderung schon weiter waren als ich. In einem Bereich äußerte sich das ganz konkret. Heute erscheint es mir lächerlich, aber damals war es sehr real. In vielen Familien um mich herum sah ich die besten Ämtchenpläne, Belohnungslisten und Wochenplaner in den Küchen hängen. Ich war jedes Mal total beeindruckt von dieser guten und zielgerichteten Familienorganisation. Gleichzeitig zweifelte ich an meiner Fähigkeit, das auch so gut hinzukriegen. Irgendwie traute ich mir das nicht richtig zu.
Zurück zu meiner Wanderung… Da ich kein klares Ziel hatte, blieb ich bei einigen Wanderwegweisern kurz stehen, um zu überlegen, in welche Richtung ich weitergehen sollte. Ich versuchte jeweils zu spüren, welcher Weg mich am meisten reizte, wie weit meine Kräfte reichten und wo oder wann ich eine Pause machen würde. Gerade beim Aufstieg hatte ich oft das Gefühl, nach dem nächsten sichtbaren Anstieg die “Endhöhe” erreicht zu haben. Allerdings wurde ich allzu oft eines Besseren belehrt. Der Weg ging weiter bergauf und der Gipfel schien wieder in weite Ferne zu rücken. Immer wieder versuchte ich, für mich zu klären, ob meine Kräfte überhaupt noch zum Weiterwandern reichten oder ob ich umdrehen oder eine Route mit weniger Höhenmetern wählen sollte. Dieses schrittweise Vorgehen fühlte sich gut an.
So ähnlich bin ich auch in meinem Eltern-Sein unterwegs. Klar hatte ich für mich grobe Ziele und Werte definiert, an denen ich mich auch heute noch orientiere. Zum Beispiel ist es mir wichtig, dass unsere Kinder zu selbstbewussten, Jesus-nachfolgenden und liebenden Menschen heranwachsen. Ich weiß auch, dass ich das zumindest teilweise beeinflussen kann. Aber ich habe mich entschieden, mit meinen Kindern Schritt für Schritt den Weg des Lebens zu gehen und offen für das Nicht-Planbare und Überraschungen zu sein.
Ehrlich gesagt habe ich bis heute, 10 Jahre später, keinen Ämtliplan gemacht. Unsere Kinder haben heute zwar Ämtchen. Aber einen schönen Plan, wie ich ihn damals in verschiedenen Küchen hängen sah, gibt es bei uns nicht. Warum nicht? Weil ich auf unserem Weg des Elternseins (noch) nicht an dem Punkt angelangt bin, an dem ich das für wichtig erachtet habe. Dafür habe ich vor kurzem einen Wochenplaner eingeführt, weil ich der Meinung war, dass das unseren Kindern in unserem dynamischen Alltag helfen könnte. Und ja, es ist sehr individuell.
Aber genau so ist die Reise der Elternschaft doch. Weil man nicht weiß, was der Weg oder auch das Kind mit sich bringt, macht man sich einfach auf den Weg. Unterwegs kommt man an ganz unterschiedliche und individuelle Weggabelungen, an denen man entscheiden muss, wo und wie es weitergehen soll oder ob eine Pause nötig ist. Man macht Standortbestimmungen und schätzt ab, ob man für die nächste Etappe ausreichend gerüstet ist oder ob konkrete Maßnahmen erforderlich sind. Am schönsten ist es, wenn man diesen Weg gelassen gehen kann, weil man nicht schon die nächsten Gipfel und Gefahren kennen muss, sondern einfach darauf vertrauen kann, dass man für die nächste Etappe gerüstet ist. Das gelingt mir vor allem dann, wenn ich mit Gott als Wegbegleiter von mir und meinem Kind rechne und ihm als dem Schöpfer der Menschen eine Mitverantwortung für mein Kind übergebe.
An diesem schönen Spätsommertag bin ich nach einigen Stunden total zufrieden und auch ein bisschen stolz auf die zurückgelegten Höhenmeter zurückgekehrt. Es waren mehr als ich anfangs gedacht hatte. Und sie haben mich auch einige Schweißtropfen gekostet. Aber ich bin auf einem Gipfel angekommen. Es war nicht der einzige mögliche Gipfel; es gab noch viele andere. Aber es war einer und ich habe ihn erklommen, ohne dass ich es von Anfang an schon geplant habe.
Welche Gipfel des Familienlebens hast du bereits erklommen?
Was bereitet dir Sorgen für die nächste Etappe?
Was brauchst du, um deinen Weg gelassen gehen zu können?