Es geschah an einem sonnigen Samstagmorgen. Lara und Pascal sind besonders früh aufgestanden, haben sich Brote geschmiert und sind dann voller Vorfreude auf den gemeinsamen Ausflug ins Auto gestiegen. Nach etwa einer Stunde Autofahrt verpasste Pascal eine Autobahnausfahrt. Er meinte, die Schilder seien unklar beschriftet gewesen, worauf Lara sagte, dass Lesen ja noch nie seine Stärke gewesen sei. Dann herrschte eisiges Schweigen.
Erst als sie angekommen waren, fuhr Pascal seine Frau an: «Hast du etwa noch nie eine Ausfahrt verpasst?» Lara tat überrascht und antwortete: «Doch sicher, ich habe ja auch gar nichts gesagt.» Pascal schäumt vor Wut. «Nein, nein, natürlich nicht. Du bist ja die Unschuldige hier. Du hast doch gesagt, dass ich nicht lesen kann!» Lara verteidigt sich: «Ich habe nur gesagt, dass Lesen noch nie deine Stärke war. Stimmt doch. Oder willst du das etwa abstreiten?» Das war zu viel für Pascal. Er stieg aus und lief davon. Damit verflog auch die letzte Hoffnung auf einen romantischen Ausflug.
Als Lara allein im Auto saß und darauf wartete, dass ihr Mann zurückkommt, hatte sie viel Zeit zum Nachdenken. Zuerst ärgerte sie sich über Pascal, dann folgten viele Gedanken, weshalb sie im Recht war. Doch als ihr Mann auch nach einer Stunde noch nicht zurückgekommen war, begann sie sich zu fragen, wie sie sich anders hätte verhalten können.
Pascal hat die Ausfahrt verpasst. Pascal ist ein schwacher Leser. Soweit die Fakten. Sie stehen klar auf Laras Seite. Doch die Fakten sind nicht das Entscheidende in der Liebe. Wichtiger ist, wie wir diese Fakten erleben.
Wenn uns beim Anstehen in einer Schlange jemand überholt hat, ist das ein Fakt. Wenn wir glauben, dass sich diese Person absichtlich vorgedrängt hat, werden wir wütend und je nach Persönlichkeit auch laut, beleidigend oder sogar handgreiflich. Falls wir aber davon ausgehen, dass wir unabsichtlich überholt wurden, verschwenden wir keinen weiteren Gedanken daran. Die Tatsache ist genau die gleiche, aber unser Erleben dieser Tatsache macht den Unterschied zwischen einer Handgreiflichkeit oder einem müden Lächeln.
Wenn sich also Lara auf die Fakten beruft und «stimmt doch» sagt, hat sie zwar recht. Doch das interessiert in der Liebe nicht. Entscheidend ist, wie beide Partner eine Situation erleben und welche Gefühle das bei ihnen auslöst. Deshalb muss in einer Beziehung nicht in erster Linie geklärt werden, was vorgefallen war, sondern was das Vorgefallene ausgelöst hat.
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NEXT LEVEL FÃœR MEINE BEZIEHUNG:
Fragt euch beim nächsten Konflikt gegenseitig, wie ihr es erlebt habt, statt was geschehen ist und wer recht hat.