«Als ich meine Hand ausstrecke, um ihr beim Heruntersteigen der Treppe zu helfen, werde ich mit einem resoluten «Nein, ich!» zurückgewiesen. Dann schlägt sie ihre beiden Hände vor ihrem Körper zusammen und hält sich ganz fest selbst die Hand. So steigt sie selbstbewusst Stufe um Stufe herunter. Man könnte sagen, dass eines unserer Kinder gerade seine Selbstwirksamkeit* entdeckt,» erzählt ein Bekannter.
Jede/r von uns kennt diese Aussage kleiner Kinder: „Alleine machen“. Was uns als Eltern vielleicht zuerst etwas irritiert, haben wir doch jahrelang alles für den Säugling und das Kleinkind getan, freut uns zunehmend. Wird doch das Kind mehr und mehr selbstständig und wir können uns immer mehr zurücknehmen.
Aber irgendwann ist es dann auch mal gut mit Selbstwirksamkeit. Mich irritiert es, wenn Mütter und Väter, noch immer in diesem Modus stecken. Wollen Eltern oder Schwiegereltern helfen, heißt es: Das schaffen wir allein. Bringen sie etwas mit, was die (jungen) Eltern nicht unbedingt brauchen, wird es umgehend in den Estrich gestellt, oder schlimmstenfalls gleich entsorgt.
Um es klar zu sagen: Ich rede hier nicht von übergriffigen Großeltern, welche dauernd in das Leben der jungen Familie reinreden. Oder von jenen, die ungefragt die Kinderzimmer mit neuen (oder alten) Sachen vollstellen. Da darf und muss es ein klärendes Gespräch geben. Aber ich frage mich: Wann wird aus diesem „Lass mich, das kann ich selbst!“ wieder ein Miteinander?
Nach Ostern hatten wir noch gefühlte 10 Wochen an unseren Schokoladevorräten zu beißen. Zu jedem Kaffee oder Tee aßen wir wieder ein Stückchen und freuten uns, als endlich ein Ende in Sicht war. Ein paar Tage später stand meine Schwiegermutter mit einem riesigen Osterhasen und einem großen Sack Rest-Ostereier da. Meine Freude hielt sich in Grenzen. Ich ließ meinem Unmut innerhalb unserer Familie einen Moment freien Lauf. So wussten die Kinder gerade, dass ich auf ihre Hilfe beim Verzehr zählte. Dann versuchte ich mich in die Situation der Großeltern, die ja nur noch zu zweit leben, hineinzuversetzen. Und ich erinnerte mich daran, dass sie die Schokolade ja wegen uns und den Enkeln gekauft hatten und nicht wegen sich selbst. Trotz all den guten und „entgegenkommenden“ Überlegungen mochte bei mir einfach keine Schokoladelust aufkommen und so beschloss ich, die Schokolade anderweitig zu verwerten. Aus Hase und Eiern entstanden feinste Schokoladenküchlein und in die heiße Milch legte ich zwei Stückchen Schokolade anstatt der üblichen zwei Löffel Schokopulver.
Sollte unser Leben nicht genügend Zwischenräume enthalten, um eine solche Gabe auffangen zu können? Oder sind wir so durchgetaktet und festgefahren, dass uns jede noch so kleine Überraschung aus der Bahn wirft? Oder müssen wir immer noch beweisen, dass wir es allein können?
Ich bin der Meinung, dass die Liebe ein Miteinander möglich machen sollte. Wir müssen unseren Eltern nicht alles sagen, was uns stört oder irritiert, solange unser Familiengefüge nicht darunter leidet. So wie es der Lauf der Zeit vorsieht, werde ich selbst einmal zur Gruppe „Eltern von Eltern“ gehören und da bin ich jetzt schon froh, wenn meine Kinder einmal geduldig und nachsichtig mit mir sind. Aber es geht ja nicht nur um mich: Diese Woche habe ich unseren Terrassenboden, den ich in regelmäßigen Abständen mit meiner Mutter zusammen behandle, allein mit meinem mittleren Sohn geölt. Aber im nächsten Jahr werde ich meine Mutter wieder fragen, ob sie mithilft. Denn als der älteste Sohn nach Hause kam und den geölten Boden sah, war er enttäuscht, seine Großmutter nicht vorzufinden.
*Unter Selbstwirksamkeit versteht man die Überzeugung einer Person, auch schwierige Situationen und Herausforderungen aus eigener Kraft erfolgreich bewältigen zu können.