Im Jahr 2006 veröffentlichte ich meine kleine, persönliche Geschichte zu eben diesem Thema in einem Eltern-Ermutigungsbuch mit dem Titel «Kinder sind klasse» (SCM Bundesverlag). Das älteste Kind unserer sechsköpfigen Familie war damals gerade vierzehn – und ich mittendrin in einem Abenteuer, dessen Ausgang ich noch nicht kannte. Damals war ich gerade eben über dem Berg, meine Kinder nicht mehr als «Störfaktoren» in meinem Leben zu sehen, sondern sie als liebenswürdige, manchmal unbequeme «Lehrer und Lehrerinnen» für meinen Charakter willkommen zu heißen.
Wenn ich heute für den Elternblog schreibe, dann tue ich das nicht aus der Sicht des Experten, der alles hinter sich hat. Meine jüngste Lektion als Vater liegt nur wenige Monate zurück. Der Corona-Lockdown hatte meine Frau und mich sowie unsere beiden noch in der Familie verbleibenden erwachsenen Kinder in einen 24-7 Beziehungsrahmen eingepfercht, den wir uns so niemals ausgesucht hätten. Wie bitte soll ich das jetzt in der kleinen Vierzimmerwohnung Schulter an Schulter mit meiner jüngsten Tochter aushalten? Wir hatten uns ja in den letzten Jahren nicht mehr viel zu sagen gehabt. Es bestand bei jedem Satz das latente Risiko, falsch zu verstehen oder verstanden zu werden. Ich hatte mir auch vor nicht allzu langer Zeit den Vorwurf anhören müssen, ich hätte für alle meine Kinder Zeit gehabt, nur für sie, die Jüngste, halt nicht mehr aufgrund meines großen Engagements außer Haus. Und damit hatte sie gar nicht so unrecht. Ich hatte etwas verpasst. Voilà: Die Dehnungsübungen für ein enges Vaterherz wurden soeben aktualisiert!
Aber kann man denn so etwas wie verpasste Zuwendung wieder aufholen? Möglicherweise hätte ich vor ein paar Jahren, als das Gros unserer Kinder noch im Teenageralter steckte, die obige Frage mit Nein beantwortet: «Wenn du das Herz deines Teenagers verlierst, dann wirst du es kaum mehr zurückgewinnen», war meine Überzeugung, und deshalb gab ich mir alle Mühe, ein nicht allzu schlechter Vater zu sein. Nun aber war es trotzdem passiert.
Nun aber zurück zum Lockdown mit seiner blöden Enge und was er zur Weite meines Vaterherzens beigetragen hat: Ausgerechnet wir zwei, Vater und jüngste Tochter, kamen auf die Idee, einen eigenen Sauerteig zu züchten. Schließlich wurden daraus innert Monaten an die 50 Laibe Brot. Und wir entdeckten aneinander eine Art Humor und Wortwitz, die manchmal kaum zu bremsen waren. Gegenseitig stachelten wir uns an und konnten uns völlig gehen lassen. Und zusammen mit dem Rest der Familie feierten wir auch mal Abendmahl. Und viele tiefgründige Gespräche ergaben sich einfach so.
Mittlerweile sind unsere beiden letzten Kinder ausgezogen. Meine Frau und ich sind sogenannte «Empty Nesters». Darauf haben wir uns schon lange gefreut. Aber ich muss gestehen, dass ich erst jetzt realisiere, mit was für einer genialen Hand Gott die Zeit in unserer Familie etwas angehalten hat, um Verpasstes nachzuholen. Die Entspanntheit der Beziehung zu allen, auch dem letzten unserer vier Kinder, hätte ich nicht für möglich gehalten! Dafür bin ich Gott von Herzen dankbar.
Beim Schreiben dieses Textes wird mir bewusst, dass ich selbst als aufmerksamer Vater vieles «verbockt» habe. Da könnte ich noch einige Müsterchen nachliefern. Aber meine Erfahrung ist es gleichzeitig, dass es bei Gott immer einen Plan B gibt. Nirgendwo anders als im eigenen Familienkontext musste ich das so intensiv lernen: Wenn Kinder sich anders verhielten, als ich mir das vorstellte; wenn ich mit meinem Zornausbruch ein Kind verängstigte oder wenn ich mich mit meiner Frau zu einem Kompromiss in der Erziehung durchrang. Dieser Plan B, so mein Fazit, ist nicht schlechter, weil er der Liebe Gottes entspringt, von der ich für meine eigene Vaterrolle profitieren kann. Ich denke, wenn mir das früher schon klar gewesen wäre, dann hätte ich mich als Vater im Bund mit Gott oft mehr entspannt. Zum Glück ist jetzt die Zeit, dies zu ändern.
Kannst du dein Versagen als Mutter oder Vater vor Gott loslassen? Übernimmst du Verantwortung für die Entwicklung deiner Kinder, aber überlässt die Resultate Gott? Wo ist das Prinzip Gnade in deinem Familienalltag an der Arbeit? Wo dürfen Gnade, Annahme und Vergebung in deine Familienbeziehungen hineinfließen?