Kürzlich wurde ich im Schwimmbad Zeuge einer lautstarken Auseinandersetzung zwischen einer Frau in einem auffälligen Gucci-Badeanzug und ihrem Partner. Der Mann sah aus, als würde er sich nicht besonders für Gucci oder andere Modelabels interessieren, dafür umso mehr für die Funktionsweise komplizierter Maschinen. Deshalb nannte ich die beiden in meinen Gedanken Frau Gucci und Herr Ingenieur. Leider verpasste ich den Anfang des Streits, kam aber gerade noch rechtzeitig zu dem Teil, in dem die Vorwürfe verallgemeinert wurden.
Frau Gucci (aufgebracht und laut): „Ist das denn so schwer zu verstehen? Kannst du nicht ein einziges Mal ein wenig um die Ecke denken? Ist das zu schwierig für dich?“
Herr Ingenieur (beschwichtigend und etwa halb so laut wie sie): „Aber ich – ich habe ja um die Ecke gedacht … Das ist doch einfach irrational. Das macht überhaupt keinen Sinn.“
Frau Gucci: „Irrational, irrational … Es ist nicht immer alles nur logisch. Menschen haben Gefühle, aber das kannst du dir ja nicht vorstellen.“
Herr Ingenieur: „Gefühle hin oder her – man kann ja auch normal miteinander reden und muss nicht immer gleich so ausrasten.“
Mehr habe ich nicht mitbekommen. Ich konnte meine Kinder nicht länger hinhalten und musste ihnen zur Rutsche folgen.
Offensichtlich haben sich Frau Gucci und Herr Ingenieur ihre Rollen wie viele andere Paare auch aufgeteilt: Er übernimmt mehr das Denken, sie mehr das Fühlen. Diese Zuteilung von rationalen Aufgaben zur einen und emotionalen Aufgaben zur anderen Person geschieht in einer Partnerschaft meist automatisch. Es ist auch nichts dagegen einzuwenden, wenn sie eher die Kinder tröstet und er eher nachrechnet, welches Angebot für die Hypothek am günstigsten ist. Oder wenn sie besorgt darüber weint, dass sie sich auseinandergelebt haben, während er sich überlegt, wie sie dieses Problem angehen könnten.
Das geht so lange gut, wie beide mit dieser Aufteilung einverstanden sind. Aber in vielen Beziehungen kommt irgendwann der Punkt, an dem beide einander für ihre jeweilige Rolle kritisieren. Sie wirft ihm dann vor, hart und gefühllos zu sein, während er sie für ihre übertriebene Emotionalität kritisiert. So wie eben Frau Gucci und Herr Ingenieur.
Der Deal in einer solchen Beziehung lautet: Wenn du das Denken übernimmst, übernehme ich das Fühlen. Und umgekehrt. Das Problem daran ist, dass es ein unausgesprochener Deal ist. Deshalb merken die Betroffenen meist nicht, dass sie selbst Teil des Deals sind und maßgeblich dazu beitragen, dass ihre Partnerin ständig so emotional reagiert oder ihr Partner nur seine Listen mit Aufgaben und Projekten im Kopf zu haben scheint.
Wenn Frau Gucci sich in dieser starren Aufteilung nicht mehr wohlfühlt, nützt es nichts, wenn sie Herrn Ingenieur helfen will, Zugang zu seinen Gefühlen zu finden. Ebenso aussichtslos ist es, wenn Herr Ingenieur seine Frau dazu bringen will, endlich ihren Verstand zu benutzen und logisch zu denken.
Wer hingegen erkennt, dass er selbst ganz wesentlich dazu beiträgt, dass seine Partnerin so ist, wie sie ist, hält den Schlüssel zur Veränderung in der Hand. Er kann sich selbst wieder in Bereiche vorwagen, die er im unausgesprochenen Deal an seine Partnerin abgetreten hat. Dadurch gibt er ihr die Freiheit, ihre festgelegte Rolle ebenfalls zu lockern und die Anteile wieder bei sich zu entdecken, die sie zuvor komplett an ihn ausgelagert hat.