Stell dir vor, zwei fremde Menschen stehen in deinem Wohnzimmer. Sie versuchen, sich unauffällig zu verhalten, was aber kaum gelingt. Sie sprechen kein Wort. Einer der beiden seltsamen Gäste folgt deiner Partnerin auf Schritt und Tritt, der andere heftet sich an deine Fersen. Als du deiner Partnerin heute Morgen einen Kaffee gemacht hast, hat er das eifrig in sein Notizbuch geschrieben. Auch deine Bemerkung über ihre Verabredung mit einer Freundin, der Abschiedskuss und dass du auf dem Weg zur Bushaltestelle den Müll rausgebracht hast. Alles wurde fein säuberlich notiert.
So müssen sich die Paare gefühlt haben, die in einer Studie von Elizabeth Robinson und Gail Price beobachtet wurden. Die Aufgabe der Beobachter war es, alles zu notieren, was die beiden Partner Positives für ihre Partnerschaft getan haben. Parallel dazu erhielten die teilnehmenden Paare eine Checkliste, in die sie erfreuliche und weniger erfreuliche Verhaltensweisen ihres Partners eintragen konnten. Anschließend wurde verglichen: Welche guten Taten haben die Beobachter notiert und wie viele davon sind auch dem Partner aufgefallen?
So fragwürdig dieses Studiendesign ist, so erstaunlich waren die Ergebnisse: Glücklich verheiratete Paare sind weder freundlicher zueinander noch zeigen sie mehr beziehungsförderndes Verhalten als unglücklich verheiratete Paare. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die glücklich verheirateten Paare die positiven Verhaltensweisen des anderen häufiger bemerken. Unglücklich verheirateten Paaren entging in dieser Studie fast die Hälfte aller beziehungsfördernden Handlungen des Partners.
Zu Beginn einer Beziehung tragen die meisten Menschen eine rosarote Brille. Sie sorgt dafür, dass man die Partnerin im besten Licht sieht. Ihre positiven Eigenschaften fallen sofort auf, Störendes hingegen wird kaum wahrgenommen. Mit der Zeit pendelt sich unser Hormonhaushalt wieder ein und wir bekommen einen realistischeren Blick auf unser Gegenüber und sein Verhalten. Leider bleibt es oft nicht bei dieser realistischen Sicht. Es ist, als ob Menschen in einer langjährigen Beziehung unter einem kollektiven grauen Star leiden: Ihre Linse wird trübe und sie neigen deshalb auch zu einer trüben Deutung des Verhaltens ihres Partners. Die negativen Angewohnheiten des anderen fallen sofort auf, während vieles von dem übersehen wird, was er Gutes in die Beziehung einbringt.
Wir tendieren zu dieser selektiven Wahrnehmung, weil unser Gehirn so funktioniert. Wir sind von Natur aus Problemsucher, weil es für uns überlebenswichtig sein kann, ein Problem zu erkennen und zu lösen. Das Negative an unserem Partner zu sehen, ist sozusagen unser Standardmodus.
Kürzlich kam ich abends in unser Schlafzimmer und habe mich über den vollen Kleiderständer genervt, der vor meinem Kleiderschrank stand. Den hätte meine Frau also wirklich noch schnell abräumen können, bevor sie gegangen ist und mir drei hungrige und müde Kinder überlassen hat. In dem Moment, als ich das gedacht habe, ist mir mein eigener grauer Star bewusst geworden.
Es gibt nur eine objektive Wahrheit (nämlich, dass mir der volle Kleiderständer im Weg steht), aber es gibt verschiedene Perspektiven darauf. Denn genauso gut wie für die Nachlässigkeit meiner Frau könnte der Kleiderständer auch dafür stehen, dass sie heute Morgen zwischen Frühstück richten, Kinder antreiben und Zahnarzttermin verschieben noch vor 8 Uhr schnell eine Wäsche gemacht hat. Es kommt also ganz darauf an, wie ich die Fakten deute.
Wollen wir diese getrübte Sicht auf unsere Partnerin verhindern, müssen wir unser Blick für das Gute trainieren. Das können wir zum Beispiel tun, indem wir uns regelmäßig die positiven Eigenschaften unserer Partnerin aufschreiben, am besten gleich mit Alltagssituationen, in denen sie diese in letzter Zeit unter Beweis gestellt hat.
So werden in unserem Gehirn die neuronalen Verbindungen zwischen unserer Partnerin und den positiven Eigenschaften gestärkt, was dazu führt, dass wir diese Gedanken zukünftig schneller abrufen können. So fällt es uns leichter, positive Verhaltensweisen zu bemerken und den grauen Star aus unserer Beziehung zu verbannen.