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Dem Homo Oeconomicus bin ich zum ersten Mal während meines Wirtschaftsstudiums begegnet. Traditionell geht man in den Wirtschaftswissenschaften von Menschen aus, die vollkommen eigennützig und rational handeln. Egal welche Entscheidung ein solcher Homo Oeconomicus zu treffen hat, er trifft sie absolut egoistisch. Wenn er einer alten Dame über die Straße hilft, so tut er dies, weil er sich erhofft, dass dadurch sein Ansehen in der Gesellschaft steigt. Wenn er für einen guten Zweck spendet, dann nur, um seinem Gewissen Erleichterung zu verschaffen.

In den letzten Jahrzehnten wurde diese Annahme eines ständig den eigenen Nutzen maximierenden Homo Oeconomicus durch verschiedene Untersuchungen relativiert. Tatsächlich spielen auch Fairness, Kooperation und soziale Normen eine wichtige Rolle bei unseren Entscheidungen.

Obwohl ich mich mittlerweile mehr mit Psychologie und mit Theologie als mit Ökonomie beschäftige, läuft mir der Homo Oeconomicus immer wieder über den Weg. Gerade in Paarbeziehungen verhalten wir uns oft ähnlich eigennützig – ohne es zu merken.

Lisa und Sebastian streiten in letzter Zeit häufig. Lisa hat das Gefühl, dass sich Sebastian nicht um ihre Beziehung kümmert. Außerdem erledigt sie den Großteil der Hausarbeit, während er sich oft zurückzieht und sich mit seinen Videospielen beschäftigt. Sebastian hingegen fühlt sich von Lisas ständigen Vorwürfen erdrückt und glaubt, dass sie ihm nie wirklich Anerkennung für das gibt, was er tut. Der Konflikt eskaliert regelmäßig: Lisa wirft Sebastian vor, sie im Stich zu lassen, und Sebastian reagiert genervt mit einem abwehrenden „Dann sag mir halt, was ich machen soll!“, was Lisa noch mehr frustriert.

Aus Lisas Sicht liegt das Problem bei ihm: Er müsste einfach weniger Zeit mit seinen Hobbys verbringen und mehr Initiative zeigen.

Für Sebastian ist sie das Problem: Sie müsste weniger nörgeln und ihn mehr akzeptieren, wie er ist.

Beide sehen sich als Opfer, beide sehen den anderen als Hauptschuldigen und keiner von beiden sieht einen wesentlichen Handlungsspielraum bei sich selbst. Das ist die Zusammenfassung der meisten Paarkonflikte, egal ob es um Geld, Engagement, Sex, Autonomie oder Freizeitgestaltung geht.

Wenn wir in solche Paarkonflikte geraten, haben wir jeweils überhaupt kein Bewusstsein dafür, dass wir uns gerade wie ein Homo Oeconomicus verhalten und strikt unseren eigenen Nutzen maximieren. Der Konflikt von Lisa und Sebastian bleibt ungelöst, weil beide einen Vorteil davon haben, ihn nicht zu lösen, auch wenn sie das nie zugeben würden.

Lisa behält die Kontrolle, ihre moralische Überlegenheit und eine klare Erklärung für ihre Frustration. Sie muss sich nicht mit der Möglichkeit auseinandersetzen, dass auch sie zum Ungleichgewicht beiträgt oder dass der Konflikt tiefere Beziehungsprobleme offenlegt.

Sebastian erhält Schutz vor zusätzlicher Verantwortung, behält seine Autonomie und vermeidet eine direkte Konfrontation mit Lisas Erwartungen. Gleichzeitig fühlt er sich in seiner Sichtweise bestätigt, dass er das Opfer von ihrem Perfektionismus ist. Ironischerweise führen diese eigennützigen Mechanismen dazu, dass das eigentliche Ziel von beiden – eine liebevolle und sichere Beziehung – in weite Ferne rückt.

Interessant ist, dass Jesus mal einen Kranken gefragt hat, ob er gesund werden wolle. Eigentlich eine widersinnige Frage. Aber eben nur auf den ersten Blick. Aus vielen Paarkonflikten können wir ausbrechen, wenn wir uns ganz ehrlich fragen: „Was habe ich eigentlich davon, wenn ich hier stecken bleibe?“ Diese Frage nach dem Homo Oeconomicus in uns reißt uns aus unserer Opferhaltung heraus und öffnet unseren Blick dafür, warum wir eigentlich in diesem Konflikt verharren wollen.

Next Level für deine Beziehung
Denke an einen aktuellen oder zurückliegenden Konflikt und frage dich: Was habe ich eigentlich davon, wenn ich hier stecken bleibe?

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