Menschen lieben Geschichten. Schon als Kinder faszinieren sie uns und wir können nicht genug davon kriegen. Die Begeisterung für Geschichten bleibt auch, wenn wir älter werden. Nackte Zahlen und Fakten berühren die wenigsten von uns, nur als Teil einer Geschichte werden sie bedeutsam und bleiben in Erinnerung. Auch die Medien haben das längst erkannt: Geklickt und geteilt werden keine trockenen Berichte, sondern Storys.
Doch manchmal übertreiben wir es ein bisschen mit unserer Faszination für Geschichten. Wir erzählen uns selbst nämlich auch Geschichten. Und das rund um die Uhr. Wir nehmen etwas wahr, beispielsweise dass Abfall am Boden liegt, jemand wütend ist oder ein Hund bellt. Aus solchen Sinneseindrücken bastelt unser Gehirn sofort eine Geschichte, die wir uns dann erzählen.
Diese Geschichte ist oft frei erfunden. Sie ergibt zwar Sinn, entspricht aber nicht unbedingt dem, was tatsächlich passiert ist.
In unserer Beziehung kommen uns die Geschichten, die wir uns selbst erzählen, manchmal in die Quere. „Meine Frau denkt, dass ich ein Schwächling bin, wenn ich ihr sage, dass ich mir dumm vorgekommen bin, als beim Gesellschaftsspiel über mich gelacht wurde. Und wenn ich jetzt wieder so empfindlich bin, wird sie mir vorwerfen, dass ich schon kürzlich, als es ums Kochen ging, so eine Mimose war.“ Das ist die Geschichte, die sich Sam erzählt, ausgehend von der Tatsache, dass die Runde laut aufgelacht hat, als seine Spielfigur zum dritten Mal zurück an den Start musste.
Der Ausdruck „die Geschichte, die ich mir gerade erzähle“, stammt von der Sozialwissenschaftlerin Brené Brown. Diese Formulierung hilft enorm, unsere Interpretation der Ereignisse mit unserem Partner zu teilen. Statt einfach zu schweigen und die von seinem Hirn erfundene Geschichte als Tatsache abzuspeichern, könnte Sam also zu seiner Frau sagen: „Die Geschichte, die ich mir gerade erzähle, ist, dass du denkst, dass ich …“.
Wenn Sam es so formuliert, wird ihm seine Frau leicht zuhören können. Er macht von Anfang an klar, dass es seine Geschichte und seine Interpretation ist und diese nicht zwingend stimmt. Deshalb fühlt sie sich nicht angegriffen und muss sich auch nicht rechtfertigen.
Ein weiterer Vorteil dieser Formulierung ist es, dass Sam durch das Beschreiben der Geschichte, die er sich erzählt, Distanz dazu gewinnt. Er wechselt auf die Metaebene und wird von dort aus leichter wahrnehmen können, dass seine Geschichte nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen muss.
NEXT LEVEL FÜR MEINE BEZIEHUNG:
Verwende die Formulierung „die Geschichte, die ich mir gerade erzähle“, um deinem Gegenüber deine Gedankengänge mitzuteilen und selbst Distanz zu gewinnen.