Unser Rollenverständnis hat sich in den letzten Jahrzehnten gewaltig verändert. Starre Rollenbilder sind einer Flexibilität bezüglich Rollenaufteilung zwischen Mann und Frau gewichen, welche viele Paare überfordert, weil sie viele Absprachen erfordert. Doch die gesellschaftliche Entwicklung hat auch für Paarbeziehungen enorme Chancen eröffnet.
Einem durchschnittlichen mitteleuropäischen Ehepaar von 1960 wäre es nie in den Sinn gekommen, miteinander zu verhandeln, wer den Haushalt führt, wer einer bezahlten Erwerbstätigkeit nachgeht und wer wann die Kinder betreut. Die Rollen waren klar zugeteilt, daran gab es nichts zu rütteln.
Heute ist das anders. Paare können selbst festlegen, wer welche Aufgaben übernimmt. Und das immer wieder neu. Kochen, Kindererziehung, Waschen, bezahlte Arbeit, Rasenmähen und viele weitere Aufgaben werden teilweise täglich neu aufgeteilt. Deshalb müssen heutige Paare deutlich mehr kommunizieren, verhandeln und koordinieren. Oftmals sind diese Diskussionen für eine Partnerschaft sogar herausfordernder als die eigentliche Rollenaufteilung.
Doch die Angleichung der Geschlechterrollen ist für Paare nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine große Chance. Frauen haben insgesamt an Durchsetzungsvermögen und Männer an Fürsorglichkeit zugelegt. Deshalb bestehen Ehen nun vermehrt aus zwei ausgewogenen und vielseitigen Persönlichkeiten mit einer hohen emotionalen Intelligenz.
Weil die Lebenswelten von Frauen und Männern ähnlicher geworden sind, können Ehepartner mehr Verständnis für die Situation des Gegenübers aufbringen. Dieses gegenseitige Verständnis erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihre Konflikte konstruktiv bewältigen können. So kann beispielsweise ein Mann, der schon tausende Windeln gewechselt und hunderte nächtliche Stunden damit verbracht hat, schlaflose Babys herumzutragen, die Verzweiflung seiner Frau nachempfinden, wenn sich mitten in der Nacht und zehn Minuten nach dem fünften Mal Stillen des Babys die ältere Schwester meldet, weil ihr Bett nass ist.
Paare sind gut beraten, die Vorteile der Ehemodelle dieser beiden Epochen zu kombinieren. Aus der Zeit unserer Großeltern lernen wir, dass eine klare Zuteilung von Rollen und Verantwortlichkeiten entlastet, da sie so manche energieraubende Verhandlung überflüssig macht. Heute kann diese Zuteilung aber erfreulicherweise aufgrund von persönlichen Stärken statt entlang von traditionellen Rollenbildern gemacht werden. Außerdem gilt die Zuteilung nicht mehr für immer, sondern für einen festgelegten Zeitraum und kann dann für die nächste Phase neu verhandelt werden. Heute besteht die Kunst darin, gute Zeiträume für Rollenzuteilungen zu finden, sodass weder wöchentlich darüber diskutiert werden muss, wer nun den Abfallsack rausträgt, noch dass für die nächsten fünfzehn Jahre festgelegt ist, wer wie viel Prozent auswärts arbeitet.
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