Corina würde alles tun für ihren Thomas. Sie liebt ihren Mann von ganzem Herzen. Und wenn es manchmal so scheint, als würde Thomas ihre Liebe nicht erwidern, so zeigt sie ihm ihre Liebe umso stärker. Sie will ihm vorleben, was es bedeutet, den anderen bedingungslos und aufopfernd zu lieben. Thomas hingegen ist oft schroff und abweisend. Auf tiefe, persönliche Gespräche lässt er sich nicht ein. Doch Corina meint zu erkennen, dass unter seiner harten Schale ein weicher Kern steckt.

Von Zeit zu Zeit erleben Corina und Thomas Momente inniger Verbundenheit und vollkommener Harmonie. Diese Zeiten enden zwar meistens mit einem Konflikt, welcher durch jede noch so kleine Meinungsverschiedenheit ausgelöst werden kann. Doch Corina gibt die Hoffnung nicht auf, dass diese seltenen Momente häufiger werden und sie sich irgendwann einmal für immer ganz nah sein werden.

Corina und Thomas scheinen das pure Gegenteil voneinander zu sein. Er distanziert und kühl, sie nah und herzlich. Tatsächlich sind sie aber sehr ähnlich. Bei ihrem Verhalten handelt es sich lediglich um polarisierte Varianten des gleichen Themas.

Beide haben eine starke Sehnsucht nach vollkommener Harmonie und Verbundenheit. Sie sehnen sich nach maximaler emotionaler Nähe. Gleichzeitig haben beide aber auch Angst davor, dass dieser Wunsch in Erfüllung gehen könnte. Denn sich maximal nahe zu sein, bedeutet auch, maximal verletzlich zu sein. Miteinander zu verschmelzen, bedeutet auch, sich selbst zu verlieren. Sie spüren beide eine starke Ambivalenz gegenüber einer solch allumfassenden, einnehmenden Form der Liebe.

Ohne es zu merken, haben sich Corina und Thomas ihre Ambivalenz gegenüber einer solch absoluten Liebe aufgeteilt. Sie übernimmt den Part der bedingungslos Liebenden, er den Part des abwehrend Distanzhaltenden.

Nur weil sie weiß, dass er die Rolle des Unnahbaren übernimmt, kann sie sich voll in ihre aufopfernde Liebesrolle stürzen. Sie kann sich darauf verlassen, dass ihr angeblicher Wunsch nach vollkommener Verbundenheit dank ihm zum Glück nie in Erfüllung gehen wird.

Und nur weil er weiß, dass sie ihn bedingungslos liebt und immer wieder eine tiefe Herzensverbindung sucht, kann er schroff und abweisend sein. Er kann sich darauf verlassen, dass sein angeblicher Wunsch nach Abstand, Sachlichkeit und Eigenständigkeit dank ihr zum Glück nie in Erfüllung gehen wird.

Diese Art von Rollenteilung ist weit verbreitet. Der Zürcher Psychotherapeut Jürg Willi beschrieb sie 2002 als erster und nannte sie die Kollusion der absoluten Liebe. Die Sehnsucht nach und die gleichzeitige Angst vor der absoluten Liebe ist nur eines von vielen möglichen gemeinsamen Themen der Liebe. Fast jedes Paar hat ein gemeinsames Thema, bei dem es sich die Aufgaben im gleichen Stil wie Corina und Thomas aufteilt. Das ist nicht per se schlecht. Doch wenn die Polarisierung zu stark wird, droht die Beziehung daran zu zerbrechen. Corina und Thomas haben ja keine Ahnung, dass sie zusammen das gleiche Ziel verfolgen. Für sie scheint es eher so, als wären sie Gegner in einem Spiel, bei dem jemand gewinnen und der andere verlieren wird.

Ein Ausweg ist das behutsame Entdecken des gemeinsamen Themas der Liebe. Es erhöht das Verständnis für den anderen. Manchen gelingt es anschließend sogar, die an den anderen ausgelagerten Aufgaben immer mal wieder selbst wahrzunehmen und so diesen Kreislauf der immer stärker werdenden Polarisierung zu durchbrechen.

 

NEXT LEVEL FÃœR MEINE BEZIEHUNG:

Was ist euer gemeinsames Thema der Liebe? Wer übernimmt welche Rolle?