„Daniel geht häufig früh zu Bett. Deshalb haben wir unsere wertvolle Paarzeit am Abend nicht mehr. Keine tiefen Gespräche, kein Kuscheln. Doch das scheint ihn kein bisschen zu stören. Das geht nun schon einige Wochen so“, klagt Karin. In ihren Gedanken machen sich Vorwürfe breit: „Er ist immer so beschäftigt. Er ist ein Mann und hat nur seine Listen im Kopf. Er denkt dauernd an Aufgaben und zu lösende Probleme und überhaupt nicht mehr an mich.“ Diese Gedankengänge wiederholen sich immer wieder in ähnlicher Form. Bis sie ihm irgendwann mal sagt: „Du gehst in letzter Zeit ziemlich früh zu Bett.“ Das sagt sie nicht in einem neutralen Tonfall, nein, in Karins Stimme ist der Vorwurf deutlich zu hören.

Weil Daniel das auch wahrnimmt, antwortet er kurz: „Nein, gehe ich nicht.“

„Doch, das tust du. Und zwar schon seit Wochen. Offensichtlich ist es dir egal, dass wir diese nahen Momente nicht mehr haben.“ Jetzt ist sie im Angriffsmodus.

Daniel hört sofort, dass auf der Beziehungsebene etwas nicht stimmt und dass es seine Schuld sein soll. Um sich zu schützen, tritt er den Rückzug an: „Ich mag jetzt nicht darüber sprechen.“

„Oh, lass mich raten: Du musst zu Bett gehen, weil du so müde bist“, zischt sie. Voilà, schon sind sie mitten im Streit.

Dieser Paardialog ist typisch. Er ist fast aufs Wort genau voraussagbar. Sie fordert, er verteidigt sich und zieht sich zurück. Und am Schluss fühlen sich beide unverstanden, unsicher und bedroht.

Es braucht nur wenig, um dieses Gesprächs ins Gegenteil zu kehren. Paaren, denen dieser Kniff regelmäßig gelingt, haben eine ganz andere Qualität von Beziehung als Paare, die immer wieder in dieses Forderung-Verteidigung-Rückzug-Muster fallen.

Versuchen wir es mal: Karin merkt, dass sie die Gespräche mit Daniel wirklich vermisst. Es beunruhigt sie, dass er sie nicht gleich zu vermissen scheint.

Bist du da für mich? Bin ich dir wichtig? Kann ich mich auf dich verlassen? Das sind die großen Fragen jeder Liebesbeziehung. Und die Antworten auf diese Fragen sind für Karin unklar geworden. Das macht ihr etwas Angst. Als sie das erkannt hat, nimmt sie all ihren Mut zusammen und sagt Daniel in einem passenden Augenblick: „Wir hatten in letzter Zeit unsere üblichen Gespräche am Abend nicht mehr. Mir scheint es, als würdest du sie nicht groß vermissen. Und irgendwie fühle ich mich deshalb unwohl. Es verunsichert mich, wenn ich nicht weiß, ob dir die Nähe zu mir noch wichtig ist.“

Karin ist wütend über die fehlenden Gespräche. Hinter dieser Wut steckt aber die Angst um ihre Verbindung. Sie versucht, über ihre Ängste und ihre Bedürfnisse zu sprechen, statt aggressiv zu fordern. Das hat nichts mit Gefühlsduselei zu tun und zeugt schon gar nicht von Schwäche. Im Gegenteil: Sich so verletzlich zeigen zu können, ist wahre Stärke.

Weil Karin vorangegangen ist, kann Daniel nun problemlos nachziehen: „Du hast recht. Ich will diese Gespräche auch. Ich war einfach so erschöpft und wollte dir nicht sagen, wie gestresst ich bin wegen unserer Wohnsituation.“

„Ich wusste nicht, dass dich das so mitnimmt“, sagt Karin. Und schon sind sie mitten in einem ehrlichen, engagierten Gespräch statt in einem Schlagabtausch.

 

NEXT LEVEL FÃœR MEINE BEZIEHUNG:
Versuche in einer konkreten Situation über deine Ängste und Bedürfnisse zu sprechen, statt etwas zu fordern.