Bei Bettina und Chris will es nicht mehr so recht laufen im Bett. Sie haben nur selten Lust und wenn sie dann trotzdem mal miteinander schlafen, ist es bei weitem nicht mehr so berauschend wie früher. Ihre gemeinsame Sexualität scheint immer mehr zu verkümmern.

Weil sie sich nicht mit einer sexlosen Ehe abfinden wollen, haben sie sich durchgerungen, das Thema in einer Paartherapie anzugehen. Als sie zur ersten Sitzung fahren, fragen sie sich, was sie dort wohl erwarten wird.

„Wir werden sicher schräge Übungen machen müssen. Jeden Tag einen Zehnsekundenkuss oder eine fünfminütige Umarmung“, befürchtet Bettina.

„Hoffentlich nicht! Ich denke eher, dass wir unsere Paarbeziehung vertiefen müssen, damit wir uns emotional wieder näherkommen. Dann wird es auch im Bett wieder besser laufen“, vermutet Chris.

Tatsächlich ist guter Sex eine Frage der Verbindung zum Gegenüber. Es ist wie ein Balanceakt auf einem Hochseil. Ist die emotionale Distanz zur Partnerin oder zum Partner zu groß, kann sie auch beim Sex nicht überwunden werden. Man erreicht einander nicht und der Sex bleibt unpersönlich.

Doch wie so oft gibt es auch hier ein zu viel des Guten. Ist man sich als Paar so nahe, dass man total ineinander verstrickt ist, leidet der Sex darunter. Wenn man miteinander verschmolzen ist, gibt es keinen anderen mehr, mit dem man in Verbindung treten könnte. Keinen Raum für ein Seil, über das man tänzeln und keine andere innere Welt, die man betreten könnte.

In der ersten Therapiesitzung wird klar, dass genau das ein Problem bei Bettina und Chris ist. Nicht die fehlende Nähe, sondern die fehlende Distanz ist der Grund für die Flaute im Bett. Sie können kaum auseinanderhalten, was eigene Wünsche und was Wünsche der Partnerin sind. Sie haben ihre Individualität zugunsten des Partners aufgegeben.

Die Sexualtherapeutin Esther Perel bringt es auf den Punkt: «Es wird zu leicht angenommen, dass sexuelle Probleme auf einen Mangel an Nähe zurückzuführen sind. Aber … vielleicht schränkt die Art und Weise, wie wir Nähe konstruieren, das Gefühl von Freiheit und Autonomie ein, das für sexuelles Vergnügen notwendig ist. Wenn Intimität in Verschmelzung umschlägt, ist es nicht ein Mangel an Nähe, sondern zu viel Nähe, die das Begehren behindert.»

Und so werden Bettina und Chris ermutigt, neben gemeinsamen vermehrt wieder eigenen Interessen nachzugehen und auch Zeit getrennt voneinander zu verbringen. So können beide wieder mehr eigene Erfahrungen in die Partnerschaft einbringen.

Im Alltag fällt ihnen nach und nach auf, wie sie sich in verschiedenen Lebensbereichen mit gegenseitigen Abhängigkeiten ineinander verstrickt haben und in diesen Dynamiken feststecken. So zieht sie sich beispielsweise immer mehr zurück, damit er immer mehr klammert. Und er wird immer hilfsbedürftiger, damit sie ihm immer mehr hilft.

Für sie beginnt nun eine Phase der Entflechtung. Sie wollen nicht länger so stark voneinander abhängig sein, dass sie nur noch miteinander leben können. Wenn es ihnen gelingt, sich als zwei eigenständige Persönlichkeiten emotional nahezukommen, wird sich das positiv auf ihr Sexleben auswirken, mehr als jeder Zehnsekundenkuss.

 

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Zu viel Nähe oder zu viel Distanz: Welcher dieser Sexkiller ist für euch die größere Gefahr?