Elternabend in der 5. Klasse mit Informationen zur anstehenden Klassenfahrt: „Die Schülerinnen und Schüler werden nach der Ankunft in der Jugendherberge ihre Betten selbst beziehen. Wenn ihr Kind keine Übung darin hat, zeigen Sie ihm bitte vor Antritt der Klassenfahrt, was zu tun ist.“ Ich musste schmunzeln. Ob es tatsächlich Kinder gibt, die mit 10 oder 11 Jahren noch nie ein Bett bezogen haben? Doch, die gab es! Sogar reichlich. Zurück von der Klassenfahrt erzählte mir meine Tochter freudestrahlend, dass sie gemeinsam mit ihrer Freundin etlichen Klassenkameraden beim Beziehen ihrer Betten geholfen hatte – natürlich gegen entsprechende Bezahlung in Form von Gummibärchen und Schokoriegeln.
Bei einem Elternseminar fragte die Kursleiterin: „Welche praktischen Fähigkeiten soll euer Kind haben, wenn es eines Tages das Elternhaus verlässt?“ Ich machte eine Liste und schnell wurde mir klar, dass es unsere Aufgabe als Eltern ist, dafür zu sorgen, dass unsere Kinder diese Fähigkeiten erlernen und einüben. Es ist ein wichtiges Erziehungsziel, die Selbständigkeit unserer Kinder zu fördern.
Ich habe meine Kinder immer gern umsorgt. Das ist meine Art, Liebe auszudrücken. Nach dem Elternseminar achtete ich bewusster darauf, meinen Kindern keine Aufgaben abzunehmen, die sie schon selbst erledigen können. Beim Kleinkind: „Du möchtest, dass ich dir beim Anziehen helfe? Ich mache dir gern den Anfang beim Reißverschluss, hochziehen kannst du ihn schon selbst.“ – Beim Schulkind: „Ich habe deine Lieblingsjeans nicht gewaschen? Sie war nicht in deinem Wäschekorb. Ich wasche gern alles, was im Wäschekorb liegt.“
Unser Leben ist oft hektisch und wir denken uns „Ich erledige das schnell selbst.“ Natürlich dauert es länger, geduldig zu warten, bis ein Kleinkind sich selbst das Brot belegt oder die Schuhe angezogen hat. Ein Kind hat vielleicht die Idee, am Sonntagnachmittag Waffeln zu backen und wir denken uns „Oh nein, gerade habe ich die Küche aufgeräumt und jetzt wird es ein Chaos geben! “ Mir hat in solchen Situationen der Gedanke geholfen, dass Kinder diese Zeit brauchen, um Neues einzuüben und dass die Familie das natürliche Übungsfeld ist für das spätere Leben.
Wenn ein Kind Streit hatte mit Freunden oder Geschwistern, habe ich gern einen Vorschlag gemacht, wie die Kinder sich versöhnen können. Doch wie soll ein Kind lernen, eigene Entscheidungen zu treffen und Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen, wenn Mama oder Papa zu jedem Problem sofort eine Lösung präsentieren? Ich kann stattdessen das Kind fragen: „Was willst du jetzt tun?“ So gebe ich ihm Zeit geben, eine eigene Lösung zu finden. Auch das trägt zur Selbständigkeit bei.
Was kannst du tun, um die Selbständigkeit deines Kindes zu fördern? Welche Fähigkeiten lernt dein Kind im Elternhaus? Wo kannst du deinem Kind erlauben, etwas Neues auszuprobieren? Wann möchtest du dich bewusst zurücknehmen, damit dein Kind eine eigene Entscheidung treffen kann?
