Montagnachmittag um 4. Ich warte in einem Restaurant auf eine Kollegin. An einem anderen Tisch sitzt eine junge Mutter mit ihrem Kind. Sie ist mit ihrem Handy beschäftigt. Der Kleine, etwa zwei bis drei Jahre alt, bearbeitet die Tischplatte seines Hochstühlchens mit den Resten seines Schokoladenkuchens, gießt den Inhalt seines Bechers dazu und verarbeitet das Ganze zusammen mit einigen Haarsträhnen zu einem neuen Rezept. Als Mami nicht reagiert und die erstaunliche Kreation auch nicht probieren will, fängt er an zu quengeln. Quietschen, “Mami, Maaamiii!!!”, Aufstehen im Hochstühlchen, Mami schaut kurz, packt seinen Arm, zieht ihn zurück in den Sitz und wendet sich wieder ihrem Handy zu. Der Kleine wird laut, steht wieder auf, alles wiederholt sich. Irgendwann wendet sich Mami ihm wieder kurz zu und sagt emotionslos: “Ich sag’s dem Papi!”
Irgendwie macht mich die Szene betroffen. Alle drei haben mein Mitgefühl: die Mutter, die mit ihren Gedanken und Bedürfnissen ganz woanders und überfordert ist; der Junge, der offensichtlich eine Situation aushalten soll, die er nicht will; und schließlich der Vater, der am Ende des Tages das Ganze – ja, was eigentlich? Nachdenklich rühre ich in meinem Cappuccino. Ich habe solche Szenen ja auch gekannt, als unsere Kids noch klein waren. Wie oft war ich einfach müde, überfordert oder auch durch Langeweile unterfordert. Natürlich habe ich bei unserer Hochzeit geahnt, dass ich mich mit der Entscheidung für ein Kind für einen Weg entscheide, auf dem die eigenen Bedürfnisse oft zurückstehen müssen. Einen Weg, auf dem sich die eigenen Batterien manchmal schneller entleeren als aufladen. Meine Ahnung aus der kinderlosen Zeit wurde zur Gewissheit: Die unendlich geliebten Zwerge waren auch Energiefresser!
Kinder fragen nicht danach, ob Mami oder Papi müde sind. Kinder brauchen für ihre sichere Entwicklung die Erziehungsenergie ihrer Eltern. Sie brauchen Eltern, die spürbar präsent sind. Sie wollen gesehen und wahrgenommen werden. Hinter vielen auf den ersten Blick anstrengenden Verhaltensweisen steckt die einfache Frage: Siehst du mich? Bin ich dir wichtig? Bestätigst du mich? Zeigst du mir was Neues? Es will dazugehören. Fehlende oder mangelnde Präsenz verunsichert ein Kind.
Wie schaffe ich es, präsent zu sein und zu bleiben? Ich glaube, das hat auch mit einer Entscheidung zu tun. Unsere Gesellschaft ist geprägt von “Es muss für mich stimmen” – denken wir nur an den neuesten Trend “Quiet Quitting“. Quiet Quitter leisten im Job nur das, wofür sie bezahlt werden; sie mögen ihren Job, sind aber nicht bereit, sich darüber hinaus zu engagieren. Diese Entwicklung ist nach einer Ära von Burnouts verständlich, in der Kindererziehung jedoch eine Katastrophe. “Ich bin dann mal weg” – das hält ein Kind nicht lange aus. Ein Kind ist auf die Präsenzenergie seiner Lieblingsmenschen angewiesen. Wenn man dazu ein Ja findet, hat man schon ein gutes Fundament.
Vielleicht hätte es dem kleinen Jungen im Restaurant geholfen, wenn Mami ihr Handy weggepackt und ihn angelacht, ihn durchgekitzelt oder aus dem Stuhl genommen hätte. Ungeteilte Aufmerksamkeit, Blickkontakt, Körperkontakt – ein unschlagbares Trio! Vielleicht hätte er auch weiter gequengelt, aber sie wäre präsent gewesen. Vielleicht war sie an dem Tag bereits neun Stunden präsent und ihre Batterie unterdessen low, als ich sie sah – ich weiß es nicht. Kein Elternteil muss perfekt sein. Aber sich jeden Morgen auf “Ich bin dann mal da” zu konzentrieren, ist ein guter Anfang!
Was bedeutet für mich Erziehungsenergie in der Erziehung?
Wie spürt mein Kind meine Präsenz im Alltag?
Wo verliere ich vielleicht unnötig Energie und wie kann ich das vermeiden?