Kürzlich war ich für drei Tage auf einem Arbeitstreffen in Salzburg. Das Programm war dicht und inklusive Abendveranstaltungen. „Na, hast du gut geschlafen?“ Mein Kollege, dem die Frage am letzten Morgen beim Frühstück gestellt wurde, verzog das Gesicht. „Gut, aber zu wenig“, antwortete er und erzählte, dass er noch eine Stunde mit seiner Frau telefoniert habe, die ihm ausführlich von ihrem Tag mit den Kindern berichtete.
Volltreffer – das kenne ich. Schon oft habe ich am Ende eines oder mehrerer langer Tage allein mit den Kindern bei meinem Mann noch loswerden wollen, was mich beschäftigt – in der Hoffnung auf Verständnis, Gesehenwerden und Wertschätzung für das, was ich alleine stemmte.
Ein Volltreffer aber auch in anderer Hinsicht. Denn an jenem Morgen hatte ich meinen Wecker – ungewöhnlich spät – auf Viertel vor sieben gestellt. Und war deshalb alles andere als erfreut, als mich meine Jüngste kurz nach sechs mit ihrem Anruf aus dem Schlaf riss. Wenn ich beruflich unterwegs bin, möchte ich mich auf die Arbeit konzentrieren und von allem, was zu Hause passiert, möglichst unbehelligt bleiben. Der Mental Load soll bitte schön dort bleiben, wo er hingehört.
Ich realisiere: Wie so oft im Leben passen das, was ich zu geben bereit bin und das, was die anderen von mir möchten, nicht zusammen. Offensichtlich bin ich damit nicht alleine. Mein Kollege kennt es, und andere Menschen in früheren Zeiten und anderen Ländern auch. „Gehe hundert Schritte in den Schuhen des anderen, wenn du ihn verstehen willst“, rät bereits ein indianisches Sprichwort.
Ich bin dankbar, dass ich durch meine zwei- bis dreimalige berufliche Abwesenheit im Jahr nachvollziehen kann, wie es für meinen Mann ist, wenn er im Ausland unterwegs ist. Aber ich merke auch, dass das nicht reicht. Es braucht mehr als einen Perspektivenwechsel ab und zu. Genauso entscheidend für ein gelingendes Miteinander ist die Fähigkeit und Bereitschaft, im richtigen Moment auf den anderen einzugehen und sich selbst zurückzunehmen.
Das gilt auch und gerade in der Beziehung zu unseren Kindern. In vielen herausfordernden Situationen mit ihnen würde ein einfacher Perspektivenwechsel helfen. Wir würden uns entspannen und Herangehensweisen finden, die wir vorher nicht auf dem Radar hatten oder auch einfach mal einen Fünfer gerade sein lassen.
Bei mir selbst stelle ich fest, dass ich nicht immer willig bin, mich in die Lage des Kindes zu versetzen. Vermutlich weil meine Kindheit weiter zurückliegt und öfter auch, weil ich meinem Kind, in dem, was es tut, Absicht unterstelle. Ob ein Perspektivenwechsel gelingt, hängt aber nicht unwesentlich davon ab, wie ich über mein Kind denke. Deshalb habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, das Beste von meinem Kind zu denken. In der entsprechenden Situation rufe ich mir selbst in Erinnerung, dass mein Kind sein Bestes gibt und mich bestimmt nicht ärgern will – und schlüpfe dann gedanklich in seine Schuhe.
In welcher konkreten Situation der letzten Tage hätte dir ein Perspektivenwechsel geholfen? Was hätte sich verändert?