FAMILYLIFE
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Soweit sich Nelia zurückerinnern kann, machte ihre Mutter ihrem Vater einen Vorwurf: „Deinetwegen musste ich mein eigenes Leben aufgeben.“ Der Vorwurf wurde nur selten ausgesprochen und doch hing er immer spürbar in der Luft. Die Mutter kultivierte diesen Vorwurf richtiggehend. Ihre Rache war, dass sie nur selten Sex wollte. „Lästiges Männervergnügen“ nannte sie es. Nelias Vater holte sich sexuelle Befriedigung anderswo. Nelia erinnert sich an eine Affäre ihres Vaters und dass sein Pornokonsum immer mal wieder ein Familienthema war.

Tim wuchs ganz anders auf als Nelia. Seine Mutter war liebevoll und fürsorglich, doch auch sehr unberechenbar. Immer wieder explodierte sie wegen Kleinigkeiten. Dann schrie sie jeweils herum und beleidigte die Kinder. Tims Vater war nur selten zu Hause. Und wenn er es war, akzeptierte er die Anfälle der Mutter stillschweigend. Er mischte sich nicht ein und zog sich zurück.

Nelias und Tims Machtkämpfe begannen kurz nach ihrer Hochzeit. Während Tim 60 Stunden pro Woche arbeitete, um seine Karriere voranzubringen, wurde Nelia immer unzufriedener, dass er so oft weg war. Sie zogen näher an Tims Arbeitsort, damit er einen kürzeren Arbeitsweg hatte und mehr zu Hause sein konnte. Doch das führte nur dazu, dass er noch mehr arbeitete und Nelia noch unglücklicher wurde. Sie war wütend auf Tim, weil sie ihm zuliebe an diesen Ort gezogen sind und er trotzdem nicht für sie da war.

Tim zog sich immer mehr zurück, er konnte die emotionalen Ausbrüche von Nelia nicht aushalten. Von Zeit zu Zeit kam es zu lautstarken Auseinandersetzungen. Nelia warf Tim vor, dass er nie zu Hause sei. Und wenn, dann wolle er nur Sex haben. Dann platzte es aus Tim heraus: «Von was sprichst du eigentlich? Wir haben schon seit einem Monat keinen Sex mehr gehabt. Kein Wunder will ich nicht nach Hause kommen, wenn mich da nur Vorwürfe und Nörgeleien erwarten.»

Nelia und Tim spielen das nach, was sie bei ihren Eltern erlebt haben. Durch Beobachtung haben sie schon als Kinder gelernt, wie eine Beziehung «funktioniert». Wie die meisten Paare sind sie sich das aber gar nicht bewusst.

Zu sehen, wo und wie unser Verhalten vorprogrammiert ist, ist ein wichtiger Schritt im Erwachsenenleben. Solange wir unsere Kindheitskonditionierungen nicht erkennen und überwinden, werden wir uns nicht frei verhalten können.

Die meisten Leute begegnen diesem Thema zum ersten Mal in ihren Zwanzigern. In ihren Dreißigern wird es dann intensiver. Viele von uns schauen aber nicht genauer hin und verschieben diese Probleme in ihre Vierziger und Fünfziger. Je länger wir es aufschieben, desto intensiver klopfen sie an. Wer diese Muster in seiner Partnerschaft in den Dreißigern nicht erkannt und durchbricht, den werden sie später umso stärker heimsuchen.

Nelia und Tim haben es zum Glück gerade noch rechtzeitig gecheckt. Als ihnen klar wird, dass ihre eigene Partnerschaft in vielen Aspekten der Ehe ihrer Eltern gleicht, ist das für sie ein Befreiungsschlag. Es entlastet sie und sie machen sich auf den Weg, ihre negativen Kindheitsprogrammierungen abzulegen und ihre wirklich eigene Partnerschaft zu gestalten.

 

NEXT LEVEL FÜR MEINE BEZIEHUNG:
Welche Beziehungsmuster hast du von deinen Eltern übernommen? Welche Kindheitsprogrammierungen willst du beibehalten und welche überwinden?

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