Mittwoch Mittag, 12.00 Uhr. Unsere kleine Enkelin, bald vier Jahre alt, besucht uns und darf wieder einmal bei uns übernachten. Zielstrebig öffnet sie die Haustür, zieht die Schuhe aus (konsequentes elterliches Training: Schuhe bleiben draussen) und marschiert die Treppe hoch in unser Wohnzimmer. Stille. 30 Sekunden später schauen mich die schönsten blauen Augen der Welt an: “Momo” (ihr Name für mich), “darf ich das?” (konsequentes elterliches Training: Erst fragen, bevor man etwas nimmt, was jemand anderem gehört.) Eine kleine Hand mit einem halb ausgepackten Schokoladenbonbon streckt sich mir entgegen, die blauen Augen strahlen glücklich und erwartungsfroh. Die Mutter in mir sagt: “Nein, jetzt nicht, es gibt gleich Essen!” Die Großmutter in mir versinkt in diesen blauen Augen, strahlt mit den roten Bäckchen um die Wette und antwortet: “Ja sicher, mein Schatz!”
Mittwochnachmittag, 17.30 Uhr. Trupp Grossmami mit Enkelin und den Puppen Lilli und Lisa sollte sich zügig samt Laufrad, Picknickkoffer, Sändelisachen und gefühlt 3 Meter langem Stock Richtung Abendbrottisch verschieben. “Du Schatz, noch fünf Minuten, dann wir müssen heim!” 17.35 Uhr: “Schatz, es wird Zeit zu gehen!” Enkelkind schaukelt fröhlich weiter. 17.37 Uhr zweiter Versuch: “Du Schatz, wir müssen heim, ich muss noch das Abendessen machen!” Enkelin schaukelt fröhlich weiter. Die Mutter in mir denkt: “Jetzt musst du streng sein, wenn wir jetzt nicht aufbrechen, schaffen wir es nicht bis 18.00 Uhr!” Die Großmutter in mir denkt: “Das Leben ist so kurz… und die Kleine spielt gerade sooo schön!” 17.40 Uhr, nach Stossgebet um Weisheit. “Du Maus, ich möchte jetzt wirklich heim, ich mag nicht mehr warten.” Enkelin lässt die Schaukel langsam ausplempern. Das kleine Gehirn läuft auf Hochtouren. “Momo, noch drei Mal rutschen, ja?” Wir einigen uns auf zwei Mal (konsequentes elterliches Training: Verhandeln, wenn unterschiedliche Wünsche aufeinanderprallen) und machen uns danach gut gelaunt auf den Heimweg.
Ich war als Mutter und Tagesmutter sehr konsequent. Süßigkeiten vor dem Essen? Never ever! Und wenn um 17.30 Uhr zum Abmarsch geblasen wurde, wurde aufgebrochen. Wo zum Kuckuck ist das geblieben? Ich habe ja die Theorie, dass Enkelkinder mit einem “Um-den-Finger-wickeln-Gen” auf die Welt kommen. Was ich bei meinen eigenen Kindern klar als Grenze oder Regel kommunizierte, bekommt nun weichere Konturen. Bei vielen Themen denke ich heute: So streng und konsequent hättest du das gar nicht durchziehen müssen. Das wäre auch für alle entspannter gewesen – und trotzdem gut herausgekommen. In anderen Momenten denke ich: Die Zeit, wo das Kind mit mir rutschen und schaukeln möchte, geht soo schnell vorbei… In einem Vierteljahr ist sie schon im Kindergarten und spielt lieber mit ihren Gspänli! Darum möchte ich diese kostbare Zeit entspannt genießen und auskosten. Und manchmal – ganz ehrlich – ist es schön, nach all meiner eigenen konsequenten Erziehungsarbeit einfach vor diesen wunderschönen blauen Augen zu kapitulieren, selbst wieder Kind zu werden und Dinge zu tun, die nicht das Prädikat “pädagogisch wertvoll” verdienen: Die Hände vor dem Essen nicht waschen, barfuss draussen herumlaufen, einen Käfer so lange in einer Papiertüte hin und her schütteln, bis er ohnmächtig ist, oder alle Erdbeeren auf dem Zvieriteller zu verputzen, bevor ein anderer überhaupt das Wort “Erdbeere” sagen kann.
Ich profitiere natürlich von der liebevoll konsequenten Erziehung, die mein Enkelkind daheim bekommt! Aber solange ich nicht die mit den Eltern abgesprochenen Erziehungsprinzipien boykottiere, darf ich es lockerer angehen als früher. Ich habe als Grossmami eine andere Rolle, eine andere Aufgabe. Ich koste das Gefühl aus, im Hier und Jetzt zu leben und als Grossmami zu dürfen statt zu müssen. Und ich staune, wie mühelos das kleine Persönchen zwischen den elterlichen und Momos Regeln hin und her switchen kann…
Nur in einem ist Momo konsequent konsequenter als Mami und Papi: Vor 7 Uhr morgens setze ich keinen Fuss vors Bett. Da können die blauen Augen an meiner Bettkante noch so leuchten…
Welche Regeln sind für mich in der Erziehung meiner Kinder / Enkel so wichtig, dass sie nicht verhandelbar sind? Wo könnte ich es vielleicht etwas großzügiger angehen?
Gibt es Dinge, die mich im Umgang zwischen den Großeltern und meinem Kind ärgern, weil sie dem Kind nicht gut tun oder meine Erziehung unterwandern? Wie könnte ich das ansprechen?