Ich sitze auf dem Badewannenrand und weine. So leise wie möglich und hinter abgeriegelter Badezimmertür. Es dauert nicht lange, bis die Klinke durchgedrückt wird und ein «Mama?» und gleich darauf ein «Wo bisch?» ertönt. Nicht mal in Ruhe weinen ist einem vergönnt in Zeiten wie diesen.

Angst habe ich keine. Weder vor der Krankheit noch vor der Krise. Wenn ich Angst hätte, dann wohl vor mir selbst. Oder vor der Person, zu der ich unter dem Dichtestress im Begriff bin zu werden. Ohnehin hat sich scheinbar alles um mich herum verdichtet zu einem Konzentrat aus Leben, Menschen und Arbeit. In mir drin liegt plötzlich vieles sehr nah beieinander. Die Zuversicht direkt neben dem Verdruss. Ich bin neugierig, aber gleichzeitig bereits übersättigt. Sehe den neuen Familienalltag pragmatisch und unkompliziert und stelle mir doch die ganz großen Fragen. Versuche, meinen Mikrokosmos Familie nach innen zusammenzuhalten und trotzdem solidarisch zu sein mit dem Rest der Welt. 

Man weiß momentan selten, was man kriegt mit mir.

Das Viele, das so nahe beieinander liegt, hat Auswirkungen. Der ermutigende Ton von mir als geduldige Lernbegleiterin kann innerhalb von Sekunden zu einem lauten und genervten Audio-Geysir werden. An all dem haftet der schale Geschmack von Willkür. Man weiß momentan selten, was man kriegt mit mir. All dieses Empfinden und Tun liegt dicht an dicht. Wohl, weil da einfach nicht genug Platz ist. Es ist eng geworden in mir.

Zurück zu meinem weinenden Ich auf dem Badewannenrand: Welcher Teil von mir weint da? Es ist mein Mutter-Ich. In keiner anderen Rolle bin ich so streng mit mir selbst. Heute hat mich die Breitseite meiner eigenen unbarmherzigen Härte mal wieder getroffen. Obwohl ich mehr als genug über Gelassenheit in der Erziehung lese und mir der Gnade von oben bewusst bin, frisst sich die bittere Enttäuschung immer mal wieder in mein Herz – die Enttäuschung darüber, was ich mit unseren vier Mädels versäumt oder falsch gemacht habe. Und wie wenig von der Mutter, die ich sein möchte, zu spüren ist. Gerade in der Krise.

Da setzt sich trotz verschlossener Tür fast unbemerkt einer zu mir auf den Badewannenrand. Eine Weile sitzt er einfach nur neben mir. Dann flüstert er mir zu: «Du musst für niemanden perfekt und unfehlbar sein. Du darfst versagen. Ja, manchmal bist du unausstehlich. Ich kann damit umgehen. Für etwas bin ich doch gestorben. Dir ist vergeben.» Ich danke ihm, dass er mich daran erinnert hat, atme ein paar Mal tief durch und vertreibe dabei den Gedanken daran, ob wir für das Nachtessen noch genügend Brot haben. Bevor ich weiter muss, noch eine Bitte: «Jesus, führe mich hinaus ins Weite!»

 

Höre einen kurzen Moment in dich hinein. Nimm wahr, was in deinem Innern dicht nebeneinander liegt. 

Nach welchen „Badewannenrand-Jesusworten“ sehnst du dich?

Tamara Boppart textet und ist als Rednerin unterwegs. Sie arbeitet bei Central Arts, einer Bewegung von Kreativen in den populären Künsten.

Sie ist verheiratet mit Andreas „Boppi“ Boppart und Mutter von vier Töchtern. Zusammen mit einer anderen Familie lebt sie gemeinschaftlich unter einem Dach im Zürcher Unterland.Â