Es war ein grauer Novembermorgen, als ich mich mit einem gefüllten Einkaufswagen an der Supermarktkasse anstellte. Ich war bereits dabei, meine Waren aufs Band zu legen, als mich der Verkäufer aufforderte, eine Frau, die an einer anderen Kasse in der Schlange stand und die Bluse einer anderen Supermarktkette trug, an seine Kasse zu holen und ihr den Vortritt zu lassen. Sie sollte schließlich nicht ihre ganze Pause mit Schlange stehen verbringen müssen. Einen kurzen Moment später war ich an der Reihe. Der Verkäufer lächelte mich an und meinte: “Den Nüsslisalat hier schenke ich Ihnen. Weil Sie die Frau vorgelassen haben.”
Für was bist du dankbar? Diese Frage ist für die meisten Kinder eine Überforderung – und wenn wir ehrlich sind, auch für viele Erwachsene. Warum ist das so? Weil es hier um ein Gefühl (der Dankbarkeit) geht und Kinder Gefühle in der Regel nicht so gut artikulieren können. Wenn wir in unserer Familie eine Grundhaltung der Dankbarkeit möchten, müssen wir für unsere Kinder einen Zugang schaffen, der für sie fassbar und klar ist. Die ganze Sache mit der Dankbarkeit soll ja echt und nicht aufgesetzt sein und in unsere Familie passen.
Studien zufolge ist Dankbarkeit eine Erfahrung mit vier Teilen:
- Es ist zuerst einmal ein Wahrnehmen der guten Dinge in unserem Leben.
- Zweitens ist es entscheidend, wie wir darüber denken, warum wir diese Dinge erhalten haben: Meinen wir, dass sie uns zustehen und wir sie verdient haben? Oder nehmen wir sie als etwas wahr, das nicht selbstverständlich ist?
- Das bestimmt unsere Gefühle bezüglich der Dinge, die uns gegeben wurden.
- Erst dann geht darum, was wir machen, um Wertschätzung und Dankbarkeit auszudrücken.
Es beginnt also damit, Gutes überhaupt wahrzunehmen. Das ist einfach. Denn es gibt immer etwas Gutes, selbst wenn es nur klein ist, vieles uns traurig macht oder schwierig ist.
Zu oft verlangen wir von den Kindern, direkt beim dritten oder vierten Punkt anzufangen, also Dankbarkeit zu fühlen bezüglich der Dinge, die sie erhalten haben und sie auszudrücken. Aber das sind innere Haltungen und Verhaltensweisen, die im Verlauf der Zeit wachsen. Kinder lernen mit der Zeit und durch Üben und unser Vorbild, auszudrücken, was sie fühlen und wo sie Dankbarkeit verspüren.
Wie wäre es also, wenn wir weniger Gedanken daran verschwenden würden, ob unsere Kinder dankbar sind? Stattdessen könnten wir ihnen helfen, Gutes zu bemerken und zu benennen. Denn Gutes zu bemerken ist der erste Schritt, um Dankbarkeit zu fühlen und zu erfahren.
Dankbarkeit ist das Ziel. Gutes wahrzunehmen, eine gute Übung auf dem Weg dorthin.
Gutes wahrnehmen, lässt auch Raum für Schwieriges und Trauriges. Das Leben beinhaltet beides. Das Gute ist vielleicht manchmal nur klein und die Gefühle im Moment verwirrend. Unsere Kinder sollen wissen, dass die ganze Palette an Gefühlen okay ist. Dankbarkeit ist das Ziel. Gutes wahrzunehmen, eine gute Übung auf dem Weg dorthin. So kann die Aussage aus der Bibel “Seid dankbar in allen Dingen” in unseren Familien auf eine gute Art Realität werden.
Als ich an diesem trüben Novembermorgen den Supermarkt verließ, blieb das Erlebte noch länger in meinen Gedanken. Es hatte mich nicht gestört, der Dame den Vortritt zu lassen. Ich erwartete keine Belohnung dafür. Das Verhalten des Verkäufers überraschte mich. Dann folgte die Erkenntnis: Jetzt habe ich grad etwas Schönes erlebt. Es zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht. Und später, als ich bereits in der Küche stand und den Salat putzte, staunte ich darüber, wie wenig es braucht, um jemandem Freude zu machen. Könnte ich die Freude über das unerwartete Geschenk weitergeben?
Wo siehst du Gutes in deinem eigenen Leben? Wie gibst du der Freude und Dankbarkeit darüber Raum? Wie kannst du deinem Kind helfen, Gutes bewusst wahrzunehmen?
Alexandra Kämpf ist verheiratet mit Richard. Zusammen haben sie drei Töchter im Alter von 10, 17 und 20 Jahren.
Sie arbeitet bei FAMILYLIFE und verantwortet dort die Ehe- und Elternkurse.