“Kinder sind kompetent”. Diesen Satz hören Eltern schon über ihre Neugeborenen und er begleitet sie dann durch die ganze Kindheit ihrer Kinder hindurch. Aber stimmt er auch? 

Letzte Woche hat unsere jüngste Tochter – sie kommt im Sommer in die Oberstufe – ihr erstes Smartphone bekommen. Sie hat sich sehr gefreut. Meine Gefühle waren gemischt. Denn eigentlich bedauere ich jede Minute, die wir mit diesen Geräten verbringen. Zeit vor dem Bildschirm ist Zeit, die man auch anders verbringen könnte. Kann sie mit dem Gerät umgehen? Wir glauben eher nicht. Durch jahrelangen Medienunterricht weiss sie zwar viel, aber mit der Selbstführung wird es nicht klappen. Und weißt du was? Das ist normal. Warum sollte sie etwas können, das die meisten Erwachsenen nicht beherrschen!?

Dieser Kompetenz-Satz irritiert mich. Einerseits möchte ich ihm zustimmen, andererseits führt er mich immer wieder auf eine falsche Fährte. Außerdem überfordert er mein Kind und mich auch. Also habe ich nachgeschaut, was Kompetenz bedeutet: Wikipedia beschreibt sie als die Fähigkeit und Fertigkeit, Probleme in einem Bereich zu lösen sowie die Bereitschaft, dies zu tun. Mein vereinfachtes Fazit: Kinder sind nicht kompetent, aber sie können es werden; einfach gemäß ihrem Alter und Entwicklungsstand. 

Margrit Stamm, emeritierte Professorin an der Universität Freiburg, beschreibt dies so: “ Auch kleine Kinder können schon viel – wenn man den Blick auf ihre Ressourcen und nicht auf ihre Defizite legt. In dieser Hinsicht sind sie tatsächlich «kompetent»(…). Leider sind solche Erkenntnisse häufig vollkommen falsch interpretiert worden. Laut Brockhaus bedeutet Kompetenz nämlich schlicht und einfach «Sachverstand», und Sachverstand setzt Wissen voraus, damit Phänomene und Situationen wahrgenommen, verstanden und eingeordnet werden können. Säuglinge und auch kleine Kinder sind in diesem Sinne noch nicht kompetent. ”*

Es ist wunderbar und richtig, dass wir den Fokus auf die Ressourcen unserer Kinder legen. Aber da dürfen wir nicht stehenbleiben. Denn Ressourcen werden nicht automatisch zu Kompetenzen. Und auch die Fähigkeit, Kompetenzen zu nutzen, muss erlernt werden.

“Kinder sind kompetent” bildet also nur einen Teil dessen ab, was ein Kind ist. Säuglinge können uns kompetent mitteilen, dass sie Hunger haben oder müde sind. Sie können dieses Bedürfnis aber nicht ohne Unterstützung befriedigen. Kleinkinder können ihre Gefühle kompetent ausdrücken und wissen genau, wann sie genug kooperiert haben.Sie können sich aber nicht gut selbst regulieren. Schulkinder können selbständig (nicht allein) Hausaufgaben erledigen, finden aber vermutlich nicht den richtigen Zeitpunkt dafür. Frau Stamm schreibt dazu: “Sie (Die Kinder) sind lediglich besonders lernfähig und besonders lernbereit. Und darin haben wir sie jahrzehntelang unterschätzt.”* Es ist wunderbar und richtig, dass wir den Fokus auf die Ressourcen unserer Kinder legen. Aber da dürfen wir nicht stehenbleiben. Denn Ressourcen werden nicht automatisch zu Kompetenzen. Und auch die Fähigkeit, Kompetenzen zu nutzen, muss erlernt werden. 

Kinder entwickeln sich am besten mit viel Liebe und Führung. Für viele ist Führung nicht erstrebenswert. Sie vermuten dahinter manipulative Absichten. Für mich bedeutet es, dass ich mein Kind aktiv begleite und es mit seinen Herausforderungen nicht alleine lasse. Ich nehme seine Lernbereitschaft und Lernfähigkeit wahr und lehre das Kind bewusst das, wozu es in der Lage ist. Das begann vor vielen Jahren mit Themen wie Tag-Nacht-Rhythmus und Essen lernen. Später habe ich meine Kinder durch Wutausbrüche begleitet. Heute reguliere ich die Bildschirmzeit, damit mein Kind sich nicht am Handy verliert und genug Zeit für die Schule und Freiraum für die Freizeit bleibt. 

Dabei geht es mir immer darum, das Kind sowohl vor Überforderung (ich lasse es bei der digitalen Herausforderung nicht allein) als auch vor Überbehütung (ich traue ihm zu, mit meinen Grenzen umzugehen) zu schützen. 

Über welche Ressourcen verfügt dein Kind? Wie kannst du es dabei unterstützen, daraus Kompetenzen zu entwickeln? 

Überforderung zeigt sich oft in einem für die Eltern schwierigen Verhalten des Kindes. Wo traust du deinem Kind zu viel zu? Wie kannst du es entsprechend seinen Ressourcen unterstützen und seine Lernbereitschaft nutzen?

*https://www.margritstamm.ch/blog/blog-uebersicht-bildung-und-erziehung/entry/der-mythos-vom-kompetenten-saeugling.html 

Alexandra Kämpf ist verheiratet mit Richard. Zusammen haben sie drei  Töchter im Alter von 12, 19 und 22 Jahren.

Sie arbeitet bei FAMILYLIFE und verantwortet dort den Elternbereich.