In den letzten Wochen wird unser Leben wieder sehr stark von Covid-19 geprägt. Und anders als im Frühjahr bin ich der ganzen Geschichte etwas überdrüssig. Die Aussicht darauf, als Familie mit Schulkind, Gymnasiastin und Studentin einen Herbst und Winter lang mit größeren Einschränkungen leben zu müssen, stimmt mich nicht fröhlich.
Niemand hat unendlich Energie, um schwierige lang andauernde Situationen einfach so zu bewältigen. Wir weichen unangenehmen Situationen aus und werden müde. Es ist anstrengend, ständig vorsichtig zu sein. Und man braucht beinahe ein Navi, um sich im Durcheinander von Maßnahmen und Regeln zurechtzufinden. Die Sache mit der Eigenverantwortung ist dann noch das Pünktchen auf dem i. Ich bin überfordert. Vermutlich bin ich nicht die Einzige, obwohl das niemand so offen sagt. Wie also wird mein Leben weniger anstrengend? Ich orientiere mich an den anderen. Oder ich halte mich buchstabengetreu an die Maßnahmen. Das hilft mir kurzfristig. In Gesprächen höre ich mich und andere dann Sätze sagen wie «Die machen es doch auch» oder «Das ist aber nicht verboten». Ups, das tönt nach Rechtfertigung. Mein innerer Mensch scheint also zu wissen, dass diese Strategie längerfristig nicht gut ist.
In einer ruhigen Minute setze ich mich auf unser Sofa und lasse mir die beiden Sätze durch den Kopf gehen. Sie scheinen zum Menschsein zu gehören wie das Atmen. Wir sagen sie in der aktuellen Situation, aber man hört sie in allen möglichen Situationen und Varianten – immer dort, wo wir meinen, uns rechtfertigen zu müssen. Meine Gedanken wandern zu unserer Familie.
Familie funktioniert schlecht, wenn sich alle nur rechtfertigen oder die Grenzen ausreizen.
Auch in unserer Familie fallen diese Sätze. Ich fordere ein Kind auf, die Schmutzwäsche, die es vor dem Wäschekorb deponiert hat, in den Wäschekorb zu legen («Aber Mama, die Schwestern machen das auch so!»). Ich bestehe darauf, dass die Hausaufgaben vor dem Spielen erledigt werden («Mama, alle anderen dürfen zuerst spielen!»). Ich erkläre, dass es mir wichtig ist, dass das Kind pünktlich in der Schule ist («Mama, das macht doch nichts, die anderen kommen manchmal auch ein paar Minuten zu spät!») usw. Meine Kinder reagieren da sehr menschlich. Ich aber finde die Situation unbefriedigend.
Familie funktioniert schlecht, wenn sich alle nur rechtfertigen oder die Grenzen ausreizen. Familie funktioniert dann, wenn Eltern und Kinder sich einander zugehörig fühlen und aus dieser Sicherheit und Geborgenheit heraus fragen: Was kann ich dazu beitragen, dass es uns gut geht? Dass wir gut miteinander kommunizieren? Dass jeder sich wertgeschätzt fühlt? Dass wir Großzügigkeit leben, mutig und mitfühlend sind?
Es geht also darum, vom «Die anderen machen es doch auch!» oder «Das ist aber nicht verboten!» zum «Was kann ich dazu beitragen?» zu gelangen.
Wenn in unserer Familie Sätze wie oben häufiger zu hören sind, wissen wir, dass wir den Fokus wieder stärker auf Zugehörigkeit legen müssen. Und darauf, dass die Kinder ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass ihr Beitrag etwas bedeutet und bewirkt. Es geht also darum, vom «Die anderen machen es doch auch!» oder «Das ist aber nicht verboten!» zum «Was kann ich dazu beitragen?» zu gelangen.
Etwas Positives zum Familienleben beitragen können schon kleine Kinder. Als Eltern ist es unsere Aufgabe, dies in Alltagssituationen mit ihnen zu üben. Wenn Kinder sich als selbstwirksam erleben (das heißt: in vielen kleinen Dingen merken, dass sie durch ihr Handeln Situationen positiv verändern und auch Probleme meistern können), werden sie gerne mitmachen beim „Was kann ich dazu beitragen?“
Um den Sack an dieser Stelle noch zusammenzubinden: Letzte Woche habe ich versucht, meine Gedanken in Tat umzusetzen. Wir haben an einem gewöhnlichen Donnerstagabend Würste über der Feuerschale gegrillt. Während die Jüngste das Feuer überwachte, rösteten die beiden anderen Brot und Marshmallows. Ich merkte, wie wichtig es war, bei unseren Herzen anzusetzen und nicht bei konkreten Aufgaben oder momentan herausfordernden Familienthemen …
Welche Aktivitäten oder Rituale helfen dir, dass deine Kinder Zugehörigkeit erleben? Wo erleben deine Kinder, dass ihr Beitrag für die Familie wichtig ist?
Alexandra Kämpf ist verheiratet mit Richard. Zusammen haben sie drei Töchter im Alter von 8 bis 18 Jahren.Â
Sie arbeitet bei FAMILYLIFE und verantwortet dort die Ehe- und Elternkurse.