Auf einem Fest saß ich in der Nähe eines Mädchens, das ihren Stuhl bekleckert hatte. Um ihr Problem zu lösen, tauschte sie die Stühle, als ihr Sitznachbar aufstand. Wenig später war dieser sehr verwundert. Er fragte das Mädchen: „Weißt du, was hier passiert ist?“ Das Mädchen ließ sich nichts anmerken, sagte „Nein“ und kam mit ihrer Lüge durch. 

Wie reagierst du auf das Verhalten des Mädchens? Schmunzelst du über ihre schlaue Problemlösung? Verspürst du Ärger? Oder wunderst du dich, warum das Mädchen nicht zu ihren Eltern gegangen ist, um sie um Hilfe zu bitten?

Die Forschung zeigt jedoch, dass moralisch strenges Verhalten von Eltern bei Kindern nicht bewirkt, dass sie aufrichtiger werden. Im Gegenteil, sie lernen besser zu lügen!

Diese Situation kann sehr unterschiedlich interpretiert werden. Ich musste zumindest die Stirn runzeln. Denn ich komme aus einem strengen Elternhaus. Wenn bei uns zu Hause eine Lüge aufflog, gab es immer negative Konsequenzen. 

Die Forschung zeigt jedoch, dass moralisch strenges Verhalten von Eltern bei Kindern nicht bewirkt, dass sie aufrichtiger werden. Im Gegenteil, sie lernen besser zu lügen! Und die unbequeme Wahrheit ist: Jedes Kind lügt. Jedes Kind beobachtet Erwachsene beim Lügen und manchmal bringen wir Eltern unseren Kindern das Lügen sogar bei. Denn oft ist eine Lüge höflicher als die Wahrheit. 

Eine gute Lüge ist sehr komplex. Sie setzt beachtliche kognitive Fähigkeiten voraus. Kinder müssen sich alternative Realitäten vorstellen und merken können. Dazu müssen sie sich in das Denken der zu belügenden Person einfühlen können. Anschließend müssen sie den Unterschied zwischen Realität und Fiktion bewahren. Für Kinder kann es ein großes Erfolgserlebnis sein, wenn ihnen eine erfundene Geschichte geglaubt wird (Wichtig: Kleine Kinder können nicht lügen. Das wird erst im Schulalter ein Thema. Vorher ist das, was bei uns als Lüge ankommt, für die Kinder durch das Erzählen zu ihrer Realität geworden).

Es gibt unzählige Gründe, warum Kinder Dinge erfinden und lügen. Hier einige Beispiele:

  • Sie brauchen die Fantasiewelt, um Schweres erträglicher zu machen.
  • Sie können ihre Gefühle so leichter ausdrücken.
  • Sie sehen darin den einzigen Ausweg aus ihrem Problem.
  • Sie wollen den Erwachsenen gefallen.
  • Sie wollen etwas Gutes tun.
  • Sie wollen eine Strafe vermeiden.
  • Sie bekommen dadurch die Aufmerksamkeit, die sie brauchen.

Als Eltern können wir unseren Kindern, wenn wir sie beim Flunkern oder Lügen ertappen, vermitteln, dass Ehrlichkeit willkommen ist und Lügen nicht nötig sind. Die Frage ist: Wie kann ich hilfreich auf mein lügendes Kind reagieren?

Verstehen wollen
Das oberste Ziel ist es, verstehen zu wollen, was das Kind dazu gebracht hat, zu lügen. Was erhofft es oder was erreicht es damit? Welches Bedürfnis wird damit erfüllt? 

Um diese Fragen zu beantworten, ist es wichtig, dass die Kommunikationskanäle zum Kind offen sind und bleiben. Wer sofort urteilt oder überreagiert, setzt jegliche Kommunikation aufs Spiel. Wer aber dem Impuls des Verstehenwollens folgt, kann dem Kind helfen.

Alternative Lösungswege suchen
Nun kann man gemeinsam einen anderen Weg suchen, der zu einem ähnlichen oder gleichen Ergebnis führt. Dies unterstützt das Kind in seiner Entwicklung. Es fühlt sich gesehen und verstanden. Oft kann es die Situation sogar besser verstehen. Es lernt, Probleme anders zu lösen. Lass dein Kind zuerst alternative Lösungen vorschlagen. Erst dann solltest du deine Vorschläge einbringen.

Grenzen (er)klären
Manchmal gibt es keine alternative Lösung, weil das Kind mit der Lüge eine Grenze verschieben will, die die Eltern gesetzt haben. Zum Beispiel, wenn es durch Lügen mehr Medienzeit als erlaubt bekommen will. Dann hat das Kind trotzdem die Möglichkeit, etwas zu lernen. Denn Grenzen zu akzeptieren und einzuhalten ist ein wichtiger Schritt in der kindlichen Entwicklung. Vielen Kindern hilft dabei, wenn sie wissen, warum eine Grenze gesetzt wird. Je älter das Kind wird, desto wichtiger wird es, Grenzen zu verstehen.

Wie streng bist du beim Thema Lügen?
Was machst du, wenn du dein Kind beim Lügen ertappst?
Sprich mit deinem Kind über eine aktuelle Situation (falls vorhanden) und gehe dabei die passenden Schritte durch.

Elli Kegler ist verheiratet mit David. Zusammen haben sie einen zweijährigen Sohn.

Sie arbeitet in Teilzeit als Pastorin im Bund FeG.