Stell dir vor, du begibst dich gleich auf eine Reise in die Unterwasserwelt. Du stehst am Ufer eines Gewässers und schaust der glitzernden Wasseroberfläche zu, wie sie sich leicht hin und her bewegt. Je länger du das Wasser beobachtest, desto klarer werden die Konturen darunter. Du erkennst Fische und andere Wasserbewohner – und bekommst immer größere Lust darauf, ins kühle Nass zu springen. Bevor du dich aber auf den Weg machst und hineinspringst, ziehst du dein Spezial-Atmungsgerät an, denn du willst schließlich auch unter Wasser atmen können.
Es geht los: Du springst hinein und das Wasser umhüllt dich in Sekundenbruchteilen. Du tauchst ab, schwimmst tiefer und tiefer und begegnest dabei verschiedensten Fischarten, Quallen, ja sogar Seepferdchen. Weil deine Beine etwas schwer werden vom Strampeln, lässt du dich ein Weilchen rücklings durchs Wasser treiben und genießt dabei den Blick nach oben zur Wasseroberfläche, durch die die Sonne kristallartig hindurch scheint.
Da gesellt sich auf einmal ein Wassertier dazu, treibt ein Weilchen neben dir her und fordert dich schließlich dazu auf, auf seinen Rücken zu steigen und dich an ihm festzuhalten. Sobald das Wassertier spürt, dass du festen Grip hast, saust es mit dir los. Ihr werdet immer schneller. Es fühlt sich wie Fliegen an – nur halt im Wasser. Ihr gelangt bis an den Grund des Gewässers. Algen ziehen links und rechts an euch vorbei und es blubbert überall. Dann kommt ihr zu einer Art Korallenriff und schlängelt euch durch Gesteinsbögen hindurch. Es ist wie Tunnelfahren, abwechselnd wird es dunkel und wieder hell.
Nach einer Weile drosselt das Wassertier das Tempo und du merkst, wie es langsam wieder Richtung Wasseroberfläche geht. Kurz bevor ihr da seid, gibt dir das Wassertier zu verstehen, dass die gemeinsame Fahrt zu Ende ist und es allein weiterziehen wird. Du steigst ab und schaust ihm hinterher, wie es allmählich in der Dunkelheit der Wassertiefe verschwindet.
Dann schwimmst du Richtung Ufer, bis deine Füße den Boden berühren. Der Boden fühlt sich steinig (sandig, morastig etc.) an. Schritt für Schritt steigst du aus dem Wasser, bis du schließlich wieder dort stehst, wo alles angefangen hat. Du ziehst das Spezial-Atmungsgerät ab, legst dich auf den von der Sonne erwärmten Boden, schließt deine Augen und atmest den frischen Sommerduft ein und aus.
Als sechsköpfige Familie reisten wir mehrere Monate mit unserem VW-Bus durch Nordamerika. Platz und Material waren eng berechnet. Die Kinder – eingerollt in ihre Schlafsäcke – schliefen zu viert auf einer für zwei Personen konzipierten Pritsche. Sagen wir so: Es war recht kuschelig. Um ihnen das Einschlafen zu erleichtern, fing ich an, ihnen frei erfundene Geschichten, wie die obige, zu erzählen. Nebst der Unterwasserwelt entführte ich sie ins All, auf einen Herbstspaziergang, auf einen Rundflug durch die Alpen oder z. B. auch an den Nordpol. Ich staunte nicht schlecht, als die Kinder jedes Mal kurze Zeit darauf selig einschliefen.* Klar, wir bewegten uns tagsüber viel an der frischen Luft und immer gab es Spannendes zu entdecken und auszuprobieren, das machte müde. Doch der Unterschied war frappant: Gab es nämlich mal keine Geschichte vor dem Einschlafen, war ein längeres Tohuwabohu mit Flüstern, Kichern, einander Anstupsen und Wegstoßen garantiert. Und entsprechend waren wir Eltern zum mehrmaligen Intervenieren gezwungen, bis irgendwann endlich Ruhe einkehrte.
Also von meiner Seite wärmstens die Empfehlung, das Imaginieren, wie man diese Übung auch nennt, in den Familienalltag zu integrieren. Hilft sehr wohl auch tagsüber, wenn man eine Pause einlegen will. Neben einer deutlichen Entspannung werden erwiesenermaßen positive Emotionen erlebt, was wiederum von Sorgen und sogar Schmerzen ablenkt.
Die einzigen zwei Instruktionen an meine Kinder waren: Eine gemütliche Liegeposition einnehmen (in der sie auch einschlafen können) und die Augen geschlossen halten.
Und wenn man nicht die ganze Geschichte von A bis Z vorgeben will, kann man als Zusatz «offene» Begriffe (hervorgehoben im Text) einbauen, wo die Kinder selbst wählen dürfen. Im Anschluss an die Imaginationsübung ganz kurz darüber austauschen, wer sich was konkret vorgestellt hat (z. B.: Wie sah dein Spezial-Atmungsgerät aus?).
In welche Fantasiewelt entführst du dich und deine Kinder als Nächstes? Viel Spaß beim Ausprobieren. Dem Erfindergeist sind keine Grenzen gesetzt.