“Erwartungen sind eine der häufigsten Gründe für Stress im Familienalltag” oder “Deshalb: Erwarte nichts (von deinen Kindern), schätze alles” lese ich im Internet. Das ist ein starker Gegensatz zum letzten Blogbeitrag von Urs Wolf, der sich für ein hohes Maß an Liebe und altersgerechten Erwartungen ausspricht. Was stimmt jetzt? Wie halte ich es denn selbst mit Erwartungen an meine Kinder? Und warum tun wir Eltern uns so schwer mit dem Thema?
Aber eines nach dem anderen: Können Erwartungen Stress auslösen? Definitiv, aber deshalb keine Erwartungen mehr zu haben, ist unrealistisch. Jede und jeder von uns hat Erwartungen an ihre / seine Kinder, auch wenn vermutlich viele davon unausgesprochen bleiben.
Am Mittwochnachmittag wollte sich meine Jüngste mit einer Freundin verabreden. Ich hatte damit gerechnet und mir bereits im Vorfeld Gedanken gemacht, was sie sonst noch alles erledigen musste: Hausaufgaben erledigen, Flöte spielen und ihr Bett frisch beziehen, waren die To-dos auf meiner Liste. Sie wollte zuerst noch ein wenig lesen – und schlief dabei ein. Es kam, wie es kommen musste: Die Zeit, um ihr Bett frisch zu beziehen, fehlte. Es folgte eine kurze Diskussion über die Notwendigkeit, das Bett frisch zu beziehen. Innerlich zögerte ich kurz, blieb dann aber bei meinem Ja. Sie musste sich eine Viertelstunde früher als geplant auf den Heimweg machen und diese Aufgabe vor dem Abendessen erledigen.
Warum hatte ich innerlich gezögert? Oder warum tun wir uns so schwer damit, Erwartungen an unsere Kinder zu definieren und in Worte zu fassen? Meine Vermutung ist: Weil man dabei viel falsch machen kann und nicht wenige Eltern Angst davor haben, Fehler zu machen. Dass diese Angst nicht unberechtigt ist, zeigt die Auslegeordnung, die ich für mich erstellte und dabei drei mögliche Fallen, in die Eltern stolpern können, fand:
Die erste Falle ist, dass ich Erwartungen habe, diese aber nicht kommuniziere. Eltern dürfen nicht davon ausgehen, dass das Kind von selbst weiß, was sie von ihm erwarten. Missverständnisse und schlechte Gefühle sind so vorprogrammiert. Zum Glück liegt mir im Normalfall eine klare und direkte Kommunikation.
Die zweite Falle ist in meinem Fall die Tatsache, dass ich perfektionistisch veranlagt bin. Wer so tickt, ist in Gefahr, überhöhte Erwartungen an andere zu haben. Was, weil ich um diese Gefahr weiss, paradoxerweise dazu führen kann, dass ich manchmal keine oder zu tiefe Erwartungen habe. Hier bin ich herausgefordert, einzuschätzen, ob eine Erwartung okay respektive angemessen ist.
Die dritte Falle besteht darin, unnötige Erwartungen zu haben. Das ist der Fall, wenn ich denke, mein Kind müsste doch …Outdoor-Aktivitäten lieben, extrovertiert sein, Interesse für Naturwissenschaften zeigen, gerne in den Kindergottesdienst gehen, kochen und backen ebenso lieben wie ich, etc. Mein Kind darf anders, schneller, langsamer, leiser oder lauter sein als ich es bin. Wie funktioniert das mit der bedingungslosen Liebe schon wieder? Muss es sich in meine Welt begeben, um Liebe zu erhalten? Oder begebe ich mich in seine Welt und entdecke dabei, wer mein Kind ist?
Ich finde mich regelmäßig in einer dieser Fallen wieder. Mein Kind kann nicht wissen, dass ich eine Pause brauche, wenn ich ihm das nicht sage. Geschwister können nicht nie streiten. Meine Erwartung, dass mein Kind genauso gerne kochen und backen sollte wie ich, ist unnötig.
Ich komme zum Schluss, dass ich es meinem Kind zutrauen will, dass es angemessene Erwartungen erfüllt – solange ich die drei Fallen im Auge behalte. Ich will viel lieben und so viel erwarten, dass mein Kind sich gesund entwickelt; was im konkreten Einzelfall wiederum vom Kind, seinen Fähigkeiten und Ressourcen abhängt.
Fällt es dir schwer oder leicht, Erwartungen an deine Kinder zu definieren?
In welche der drei Fallen tappst du öfter?
Nimm eine konkrete Situation, die du in den letzten Tagen erlebt hast. Wie hättest du sie anders gestalten können?