Wir hatten einmal ein Paar in der Beratung, das mit seiner Paarsexualität in eine Sackgasse geraten war. Er litt darunter, dass sie nach wenigen Jahren Beziehung kaum noch miteinander schliefen. Und sie wehrte jede Berührung ab. Allein der Gedanke an Körperkontakt mit ihm löste schon fast eine ihrer häufigen Migräneattacken aus.
Dieses Paar ist nicht allein. Bei weitem nicht. Experten schätzen, dass etwa jedes dritte Paar in einer langjährigen Beziehung nur sehr selten oder gar keinen Sex hat – Tendenz steigend.
Wir alle wünschen uns, dass unser Partner uns gut findet, und suchen seine Bestätigung. Wir hoffen, dass er begeistert auf das reagiert, was wir sagen und was wir tun. Wenn wir etwas Intimes von uns preisgeben, soll er einfühlsam und wertschätzend darauf reagieren.
Bei diesem Paar war es nicht anders. Sie suchten Bestätigung vom anderen und wollten alles vermeiden, was ihre Harmonie beeinträchtigen könnte. Als sich gezeigt hat, dass er viel öfter Sex wollte als sie, hat sie sich darauf eingelassen. Schließlich wollte sie ihn nicht enttäuschen und seine Erwartungen erfüllen. Sie redete sich immer ein, dass sie es ihm zuliebe tue.
Aber das stimmte gar nicht. Sie tat es nicht für ihn. Sie tat es, weil sie Konflikte vermeiden wollte. Sie tat es, weil sie seine Bestätigung wollte. Sie tat es, weil sie Angst hatte, dass er sie nicht mehr lieben oder gar verlassen würde, wenn sie seinen mehr oder weniger subtilen Druckversuchen nicht nachgeben würde.
Diese „unehrliche Selbstaufgabe“ führte mit der Zeit dazu, dass sie immer weniger Freude am gemeinsamen Liebesspiel hatte. Auch nichtsexuelle Berührungen wurden ihr immer unangenehmer, weil sie jedes Mal befürchtete, dass sie mit der Forderung nach Sex verbunden sein könnten. So hatten sie immer seltener Sex. Dann entwickelte sich ein Teufelskreis aus Abwehr und Forderung: Je mehr sie Körperkontakt ablehnte, desto fordernder wurde er, was wiederum dazu führte, dass sie noch abwehrender wurde.
Eine Liebesbeziehung fordert uns heraus, in unserer Persönlichkeit zu wachsen. Wir müssen lernen auszuhalten, dass unser Partner nicht immer begeistert auf unsere Worte und unser Verhalten reagiert. Es funktioniert auf Dauer nicht, die Erwartungen des Partners zu erfüllen, nur damit die Harmonie nicht gestört wird. Wenn überwiegend egoistische Motive wie Angst und Vermeidung unsere unbewussten Antriebe sind, führt das früher oder später zu Spannungen und schließlich zum Knall.
Es macht einen entscheidenden Unterschied, ob wir uns den Erwartungen des Partners aus Angst vor Konflikten anpassen oder ob wir in unserer persönlichen Entwicklung so weit gereift sind, dass wir Spannungen und Disharmonien in der Beziehung aushalten können. Nur wenn es uns gelingt, bei uns zu bleiben, auch wenn wir dem anderen ganz nah sind, können wir unsere vielleicht gegensätzlichen Wünsche wahrnehmen und äußern. Diese innere Reife ist notwendig, um dem emotionalen Druck standzuhalten, den wir gegenseitig aufeinander ausüben.
Wer die Konflikte aushalten kann, die ein Nein mit sich bringt, kann auch freiwillig und aus echter Liebe Ja sagen. Wenn wir das können, dann können wir dem Partner tatsächlich etwas zuliebe tun, weil es dann nicht mehr um die Beruhigung unserer Ängste geht, sondern wirklich um den anderen. Und ja, dazu kann dann auch gehören, sich auf gemeinsamen Sex einzulassen, auch wenn der eigene Wunsch danach im Moment vielleicht nicht stark ist.