Die Chancen stehen gut, dass im Hause Maurer heute beim Frühstück gute Stimmung herrscht. Nicht dass wir alle johlend durchs Haus tanzen, aber nach der nächtlichen Erholung sind unsere drei Jungs wieder voller fröhlicher Energie und Tatendrang.
Andererseits stehen die Chancen auch gut, dass heute vor dem Abendessen bei allen dreien die Luft draußen ist und sich die kleinsten Dinge mühsam gestalten. Das Abendbrot steht längst auf dem Tisch bereit, nur sind die drei Jungs noch draußen – irgendwo! Der Fußball liegt auf Nachbars Wiese, das Trottinett quer vor dem Eingang und der Bobbycar inklusive Fahrer sind unauffindbar.
Aber das sind nicht diejenigen Dinge, die meine Frau und mich auf die Palme bringen können, sondern: Wenn wir sie zum Abendessen rufen, reagieren sie beim ersten Mal nicht. Beim zweiten Mal, wenn wir uns etwas Aufmerksamkeit verschafft haben, kommt ein “Ja, ja, ich komme ja schon” als Antwort. Beim dritten Mal erhalten wir nochmals die gleiche Antwort. Nicht selten sehen wir uns gezwungen, jeden einzelnen beim Aufräumen, Reinkommen und Händewaschen zu begleiten. Das Essen danach hat seinen ganz eigenen Reiz. Neigt es sich dem Ende zu, ertönen Klopf-, Grunz- und Furzgeräusche in Zufallsreihenfolge und in Surround-Sound. Dazu fliegen nicht selten ein halb gegessenes Stück Brot oder der Inhalt eines Bechers über den Tisch.
Ich dringe einfach nicht durch! Da kann ich noch so lange auf meine Söhne einreden, argumentieren und ihnen meine Vorstellungen mitteilen. Was läuft da falsch? Ich verstehe es nicht! Oder vielleicht eher: Ich verstehe meine Söhne nicht! Was ist es, das mein Sohn wirklich braucht? Eine Umarmung? Ein paar Minuten ungeteilter Aufmerksamkeit? Eine Minute für sich alleine? Ein wertschätzendes Wort? Meine Hilfe (auch wenn er es alleine kann)? Für mich sind die Bedürfnisse hinter dem Fehlverhalten meistens nicht offensichtlich. Aber ich weiss: Mein Sohn rebelliert nicht einfach, weil er mich doof findet und darum ärgern will. Manchmal heißt das Bedürfnis einfach “Müdigkeit” oder “Hunger” – die zwei Stimmungskiller schlechthin.
Nicht immer schaffe ich es, mich gut durch diese Situationen zu manövrieren, aber einiges habe ich gelernt.
Wie gesagt, es gelingt mir nicht immer. Ich bin und bleibe ein Lernender. Aber mir ist wichtig geworden, nicht jedes Fehlverhalten immer so wichtig zu nehmen. Stattdessen möchte ich die Erziehungssache nicht isoliert, sondern primär als Beziehungssache verstehen. Doch ich empfinde es als hohe Kunst: Der Alltag lässt grüßen.
Folgende Überlegungen können in herausfordernden Situationen helfen:
Was könnte das Bedürfnis dahinter sein? Kann ich meinem Kind auch in Stresssituationen zuhören? Finde ich Kraft für noch eine Minute Geduld?