Wenn man in Quarantäne geschickt wird, stellt sich diese Frage nicht. Seine Mitverbannten kann man sich nicht auslesen. Aber was wäre eine Pandemie ohne Quarantäneerfahrung? Hier ein paar persönliche Notizen aus diesen Tagen.
Sonntagnachmittag: Wir erfahren per Mail, dass die Lehrerin unserer Jüngsten positiv getestet wurde. Das hat man davon, wenn man an einem Sonntagnachmittag die Mails abruft. Wir verschieben vorsorglich einen Besuch bei Freunden. Vier enttäuschte Kinder und ebenso viele Erwachsene. Am Abend folgt die nächste Information. Die Kinder sollen am Montag zur Schule gehen; Kontakt werden sie nur in der Klasse haben. Schule in der Bubble.
Montag: Unsere Jüngste verlässt das Haus. Auch die Mittlere geht nach fünf Wochen Fernunterricht zum ersten Mal aus dem Haus. Ich widme mich dem Haushalt und bereite den Wocheneinkauf vor. Als ich die Haustüre schließen will, klingelt das Telefon. Lehrerin Nr. 2 meldet sich mit der Nachricht, dass unsere Jüngste und mit ihr zusammen die ganze Familie in Quarantäne muss. Was? Lehrerin Nr. 1 ist positiv auf die britische Mutation getestet worden, deshalb müssen auch alle Zweitkontakte in Quarantäne. Ich beschließe, trotzdem einkaufen zu gehen. Schließlich müssen wir essen in den nächsten Tagen. Mein Mann wird die Jüngste, die bereits auf dem Heimweg ist, in Empfang nehmen.
Während die Schweiz die Läden wieder öffnet, verschwinden wir für 10 Tage vom Radar. Pünktlich zum Mittagessen haben wir uns organisiert. Es ist eine spezielle Mahlzeit; die Kinder schwanken zwischen Lachen und Schimpfen. Unsere Mittlere hat gerade mal vier Stunden in der Schule verbracht. Bis zum späten Nachmittag sind diverse Kinderfrustwellen über mich geschwappt. Ich werde langsam etwas dünnhäutiger. Ich schreibe einer Freundin, die in einem anderen Kanton auf dem Amt für Gesundheit arbeitet und erfahre von ihr, dass dort gar nichts passieren würde, weil die Lehrerin eine Maske getragen hat. Ja, geht’s eigentlich noch mit dem Kantönligeist?
Ich entscheide mich, das ganze unter «Pech gehabt» abzuhaken und das Beste daraus zu machen. Dies funktioniert genau eine halbe Stunde. Dann nämlich wird mir bewusst, dass wir eventuell nicht mit nur einer einzigen Quarantäne davonkommen. Meine beiden jüngeren Kinder treffen tagtäglich 45 andere Kinder / Jugendliche und ein Dutzend LehrerInnen. Der Gedanke überwältigt mich. Ich hole meinen Mann aus seinem Kellerbüro, damit er die nächsten zwei Stunden übernimmt.
Dienstag: die Jüngste hat ein straffes Heim-Schulprogramm. Ich übernehme den Morgen, mein Mann den Nachmittag. Ich bin gestresst, am Freitagabend bin ich verantwortlich für eine Schulung mit 80 Teilnehmenden. Ich bin die Organisatorin und Referentin. Hätte jede Minute gebraucht, um mich vorzubereiten. Und die Internetverbindung spukt, deshalb wollte ich eigentlich am Freitag ins Büro.
Mittwoch: Ich erwache nicht wahnsinnig gut gelaunt. Die Quarantäne nehme ich heute persönlich. Eine gute Gelegenheit, daran zu arbeiten, nicht alles persönlich zu nehmen… Um 8 Uhr dürfen wir für eine halbe Stunde das Haus verlassen, PCR-Test bei der Kinderärztin für alle fünf. Wir machen uns dicht vermummt auf den Weg; Mütze (es ist kalt) und Maske bedecken unseren Kopf. Die Ärztin ist unsere Frau für alle Fälle. Da das Contact Tracing sich nicht meldet, die Uni aber mit Nachdruck eine offizielle Quarantäneverfügung verlangt, setzt sie ein Schreiben auf. Wie praktisch, dass sie auch Unidozentin ist und meine Tochter bei ihr einen Kurs belegt. Wir erfahren bei diesem Arztbesuch auch, dass im Städtchen drei weitere Klassen mit ihren Familien in Quarantäne sind.
Die Kinder machen’s supergut, keine Klagen, nichts. Unsere Jüngste ist zu gleichen Teilen fasziniert und überfordert von und mit dem iPad. Ich ernenne mich zur Hüterin des iPads. Sie ist erleichtert und verschwindet in den Garten. Ich putze aus lauter Langeweile das Badezimmer. Gleichzeitig rechnet mein Kopf aus, dass sich in unserem Städtchen ca. 2 Prozent der Bevölkerung in Quarantäne befindet. Warum? Weil sie Kinder haben.
Eine Freundin bringt Tulpen, Leckereien, einer Zeitschrift und sogar Naschereien für die Katze vorbei. Wunderbar! Überhaupt erhalten wir viele Hilfsangebote. Das tut gut.
Ich erzähle meinen Kindern von meiner Langeweile und dem Bewegungsmangel. Die Jüngste und die Älteste wissen Rat: Mama, du musst einfach in den Garten und dir vorstellen, du wärst ein Pferd. Dann stellst du einen Parcours zusammen und trainierst. Die Älteste bietet mir an, bei ihrem Fußballtraining im Garten mitzumachen… Mir wäre mehr nach einem Spaziergang.
Der Rest der Quarantäne verläuft unspektakulär. Ich bin die einzige, die sich stark eingeschränkt fühlt. Aber zumindest im Kopf weiß ich, wie privilegiert wir sind – generell und in dieser Quarantäne mit einem Haus und einem Garten. Was ich im Kopf schon immer wusste, buchstabiert sich langsam seinen Weg in mein Herz: Diese Quarantänezeit ist nicht eine Pause in meinem Leben. Sie ist gerade mein Leben. Auch Selbstbestimmung ist nicht alles. Und der bekannte Text aus dem Römerbrief gilt auch für diese Tage: Wer Gott liebt, dem dient alles, was geschieht, zum Guten.
Dieses Mal kommt der Text ohne weiterführende Fragen. Bei mir sind in diesen Tagen verschiedene Themen aufgepoppt, vom Dinge persönlich nehmen, mangelnder Selbstbestimmung bis zu Situationen nehmen, wie sie sind und das Beste daraus machen (und dabei immer wieder scheitern). Vielleicht ist bei dir beim Lesen etwas angeklungen. Gerne darfst du diesen Gedanken nachgehen.